In Deutschland existierten nach Angaben des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen zum 31. Dezember 2012 19.551 rechtsfähige Stiftungen. Allein im Jahr 2012 wurden 645 Stiftungen neu errichtet. Ein Grundprinzip des deutschen Stiftungsrechts lautet: Der Vermögensstock einer Stiftung muss in seinem Bestand ungeschmälert erhalten bleiben – idealerweise sogar mit Inflationsausgleich. Doch gerade das wurde in der letzten Zeit für viele der Stiftungen in Deutschland zum Problem. Angesichts der heutigen, historisch niedrigen Zinsen wird es immer schwieriger, diesen Grundsatz des Vermögenserhalts zu wahren. Der finanzielle Spielraum zur eigentlichen Erfüllung des Stiftungszweckes reicht oft nicht mehr aus. Die Stiftungen werden daher nicht umhin kommen, sich zukünftig auch Investitionsmöglichkeiten, die als Investmentvermögen unter das Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) fallen, näher anzusehen.
Stiftungsrechtliche Vorgaben für die Vermögensverwaltung
Stiftungen sind rechtlich verselbständigte Vermögensmassen, die dauerhaft einen vom Stifter festgelegten Zweck verfolgen, der regelmäßig durch die Erträge aus dem Stiftungsvermögen bestritten wird. Bei der Anlage des Vermögens sind dabei unterschiedliche rechtliche Vorgaben zu beachten:
Maßgeblich für die Anlagestrategie ist zunächst der Stifterwille, der sich aus dem Stiftungsgeschäft gemäß § 81 Abs. 1 BGB ergibt. Der Stifter kann Vorgaben bezüglich der Bewirtschaftung des Vermögens machen und insbesondere bestimmte Anlageformen oder Anlagestrategien vorschreiben oder ausschließen.
Sofern das Stiftungsvermögen nicht in Sachwerten, wie beispielsweise Immobilien oder Unternehmensbeteiligungen, die dauerhaft im Eigentum der Stiftung bleiben sollen, besteht, legen Stifter häufig keine detaillierten oder einschränkenden Anlagegrundsätze fest. Die Stiftung muss bei der Vermögensverwaltung daher lediglich die jeweiligen landesrechtlichen Regelungen berücksichtigen, die überwiegend vorschreiben, dass das Stiftungsvermögen in seinem Bestand ungeschmälert erhalten bleiben muss und regelmäßig keine weitergehenden Vorgaben für bestimmte Anlagestrategien oder Anlagegegenstände enthalten.
Als mögliche Anlagegegenstände kommen insbesondere festverzinsliche Wertpapiere, Aktien, Immobilien, Unternehmensbeteiligungen oder Hedgefonds, aber auch Beteiligungen an alternativen Investmentvermögen (wie z.B. geschlossene AIFs) in Betracht.
Anlegertypologie des Kapitalanlagegesetzbuchs (KAGB)
Bisher war die Investition in Anlageformen, die sich an professionelle Anleger richteten, für Stiftungen vielfach ausgeschlossen, da diese die Anforderungen, die an professionelle Anleger gestellt wurden, nicht erfüllt haben.
Das KAGB hat nunmehr neben dem Privatanleger und dem „professionellen“ Anleger eine neue Anlegertypologie eingeführt, den sog. „semi-professionellen“ Anleger. Doch was verbirgt sich genau hinter den beiden Begrifflichkeiten „professioneller Anleger“ bzw. „semi-professioneller Anleger“ und vor allem welche Konsequenzen ergeben sich hieraus für Stiftungen im Zusammenhang mit der Anlage ihres Vermögens?
Professioneller Anleger
Professioneller Anleger ist jeder Anleger, der im Sinne von Anhang II der Richtlinie 2004/39/EG (sog. MiFID-Richtlinie) als professioneller Kunde angesehen wird oder auf Antrag als ein professioneller Kunde behandelt werden kann (vgl. § 1 Abs. 19 Nr. 32 KAGB).
Als professionelle Kunden werden dementsprechend im Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) Kunden definiert, bei denen das Wertpapierdienstleistungsunternehmen davon ausgehen kann, dass sie über ausreichende Erfahrungen, Kenntnisse und Sachverstand verfügen, um ihre Anlageentscheidungen zu treffen und die damit verbundenen Risiken angemessen beurteilen bzw. sachgerecht einschätzen zu können. Danach sind professionelle Kunden beispielsweise Banken, Kapitalanlagegesellschaften, Versicherungsunternehmen und Pensionsfonds/-kassen, aber auch größere Industrieunternehmen und die jeweils für diese Unternehmen in den einschlägigen Positionen handelnden Personen.
Stiftungen hingegen werden nach dem WpHG nur dann als professionelle Kunden eingestuft, wenn sie mindestens zwei der drei Größenmerkmale bezüglich Bilanzsumme (EUR 20 Mio.), bezüglich der Umsatzerlöse (EUR 40 Mio.) bzw. bezüglich der Eigenmittel (EUR 2 Mio.) überschreiten. Nur die wenigsten Stiftungen erfüllen diese Kriterien, so dass in der Praxis den meisten Stiftungen als Privatanleger – hierunter sind alle Anleger, die weder „professionelle“ noch „semi-professionelle“ Anleger, zu verstehen – zu qualifizieren sind und ihnen damit oftmals interessante Investmentmöglichkeiten, die insbesondere für institutionelle Kunden aufgelegt werden, bis heute verschlossen blieben.
Semi-professioneller Anleger
„Semi-professioneller“ Anleger ist nach der Legaldefinition des § 1 Abs. 19 Nr. 33 KAGB jeder Anleger,
- aa) der sich verpflichtet, mindestens 200 000 Euro zu investieren,
- bb) der schriftlich in einem vom Vertrag über die Investitionsverpflichtung getrennten Dokument angibt, dass er sich der Risiken im Zusammenhang mit der beabsichtigten Verpflichtung oder Investition bewusst ist,
- cc) dessen Sachverstand, Erfahrungen und Kenntnisse die AIF-Verwaltungsgesellschaft oder die von ihr beauftragte Vertriebsgesellschaft bewertet, ohne von der Annahme auszugehen, dass der Anleger über die Marktkenntnisse und -erfahrungen eines professionellen Anlegers verfügt,
- dd) bei dem die AIF-Verwaltungsgesellschaft oder die von ihr beauftragte Vertriebsgesellschaft unter Berücksichtigung der Art der beabsichtigten Verpflichtung oder Investition hinreichend davon überzeugt ist, dass er in der Lage ist, seine Anlageentscheidungen selbst zu treffen und die damit einhergehenden Risiken versteht und dass eine solche Verpflichtung für den betreffenden Anleger angemessen ist, und
- ee) dem die AIF-Verwaltungsgesellschaft oder die von ihr beauftragte Vertriebsgesellschaft schriftlich bestätigt, dass sie die unter Doppelbuchstabe cc genannte Bewertung vorgenommen hat und die unter Doppelbuchstabe dd genannten Voraussetzungen gegeben sind.
Insoweit ist es für eine Qualifikation als „semi-professioneller“ Anleger ausreichend, wenn auf Seiten des jeweiligen Anlegers eine Risikokenntnis bezüglich der beabsichtigten Vermögensanlage vorliegt, der Sachverstand, die Erfahrungen und die Kenntnisse des Anlegers im Hinblick auf die beabsichtigte Vermögensanlage bewertet wird und die hinreichende Überzeugung besteht, dass der Anleger in der Lage ist, seine Anlageentscheidungen selbst zu treffen und die damit einhergehenden Risiken zu verstehen und dass eine solche Verpflichtung für den Kunden angemessen ist.
Konsequenzen für die Anlage des Stiftungs-Vermögens?
Es ist offenkundig, dass die Vorgaben für den Anlegertyp „semi-professioneller“ Anleger – anders als beim Anlegertyp „professioneller“ Anleger für eine Vielzahl von Stiftungen durchaus erfüllbar sind. Dabei sieht das KAGB für eine Vielzahl von Investmentvehikeln die Gleichstellung von professionellen und semiprofessionellen Anlegern vor (z. B. bei inländischen Spezial-AIF). So sind die Beteiligungsformen offene Investmentkommanditgesellschaft, Spezialinvestmentaktiengesellschaften mit veränderlichem oder mit fixem Kapital, geschlossene Spezialinvestmentkommanditgesellschaft ausschließlich „professionellen“ und „semi-professionellen“ Anlegern vorbehalten. Als weitere Anlageform kommt ggf. auch das nicht-risikogemischte geschlossene Investmentvermögen in Betracht, bei dem bereits eine Mindestanlage von EUR 20.000.- ausreichend ist.
Während Privatanlegern für die Investition in gängige Sachwerte, wie Immobilien (einschließlich Wald, Forst und Agrarland), Schiffe, Flugzeuge, Anlagen zur Erzeugung, zum Transport und zur Speicherung von Strom, Gas oder Wärme aus erneuerbaren Energien, Schienenfahrzeuge, Container sowie die für die vorgenannten Vermögensgegenstände genutzte Infrastruktur, nur die geschlossene Investmentkommanditgesellschaft und die geschlossene Investmentaktiengesellschaft mit fixem Kapital zur Verfügung stehen, hat der „semi-professionelle“ Anleger eine wesentliche größere Auswahl an möglichen Rechtsformen von Beteiligungsmodellen.
Größeres Anlageuniversum für Stiftungen
In der Konsequenz dürfte dies dazu führen, dass sich das Anlageuniversum für Stiftungen erweitert und ihnen eine Vielzahl von interessanten Anlagemöglichkeiten offen stehen wird, die im Hinblick auf die zu erzielende Rendite (deutlich) mehr in Aussicht stellen als z. B. „erstklassige“ Staatsanleihen. Insoweit können dadurch Stiftungen gemeinsam mit institutionellen Anlegern in Spezialinvestmentvermögen investieren und dadurch von einer gegenüber Publikumsinvestmentvermögen deutlich geringeren Kostenquote profitieren.
Derzeit ist noch offen, wie in der Praxis eine belastbare Prüfung und Bewertung der für die Qualifikation eines „semi-professionellen“ Anlegers erforderlichen Kriterien aussehen wird. Gleichwohl ist absehbar, dass geeignete Verfahren zeitnah implementiert werden, da eine Vielzahl von Stiftungen auf Grund des niedrigen Zinsniveaus die für die Erfüllung ihres Stiftungszwecks erforderlichen Erträge nicht oder nur in geringem Umfang erzielen können, und daher mit großem Interesse die „neuen“ Produkte prüfen und als interessante Anlagemöglichkeit erkennen werden.
Kontakt: Dr. Jürgen Müller, Rechtsanwalt
Partner bei RP Asset Finance Treuhand GmbH
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