Friday 9-May-2025
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Tatsächliche und „Möchtegern“-Plattformunternehmen

Markets and NewsTatsächliche und „Möchtegern“-Plattformunternehmen

Ein Kommentar von Dominikus Wagner, Vorstand Wagner & Florack AG: Firmen wie Amazon oder Netflix werden häufig im selben Atemzug mit Apple oder Google genannt. Unseres Erachtens völlig zu Unrecht, denn sie können letztgenannten Ausnahmefirmen in Bezug auf die Qualität des Geschäftsmodells nicht ansatzweise das Wasser reichen. Und während diese Daily Used Tech-Firmen, deren Produkte und Dienstleistungen aus dem täglichen Leben von Milliarden von Konsumenten und Millionen von Unternehmen nicht wegzudenken sind, mit unternehmerischer und langfristiger Perspektive betrachtet fair oder teils günstig bewertet sind, sind Firmen wie Amazon oder Netflix deutlich zu hoch bewertet.

So zuverlässig wie die Gewinnmaschine Apple Jahr für Jahr immer mehr Free Cash Flow erwirtschaftet, so zuverlässig präsentiert sich Amazon als eine wahre Geldverbrennungsmaschine mit einem Free Cash Flow von z.B. minus 20 Mrd. USD im Geschäftsjahr 2022. Die Folge ist ein verlässlich steigender Schuldenberg mit Nettoschulden von über 150 Mrd. USD. Eigentlich müssten daher die Alarmglocken der Analysten pausenlos schrillen. Doch weit gefehlt, die Analystenzunft erfreut sich viel lieber am hochgelobten EBITDA oder EBIT, das fälschlicherweise als der Unternehmensgewinn betrachtet wird. Nach dem Prinzip Hoffnung setzen die Analysten seit Jahren darauf, dass mit steigenden Umsätzen die Verluste verschwinden und nach und nach immer höhere „Gewinne“ sprudeln. Doch das Gegenteil ist der Fall. Mit steigenden Umsätzen wird immer mehr Geld verbrannt, der Schuldenberg wächst und erreicht mittlerweile dramatische Ausmaße. Von den erhofften Economies of Scale ist weit und breit nichts zu sehen. Der Grund dafür ist, dass der Kapitalbedarf des Online-Handels gigantisch ist und Skaleneffekte ausbleiben, da für das Umsatzwachstum einerseits immer mehr Warenzentren gebraucht werden und andererseits das Lagervolumen weiter zunimmt und Cash bindet, zumal die Distribution mit Lagerhaltung und Logistik hochkomplex ist. Und ob das Cloud-Geschäft AWS Geld verdient, ist ebenfalls unklar. Die operative Marge von AWS steigt zwar, aber der (sehr hohe) Capex wird nicht transparent dargestellt und damit auch nicht der Free Cash Flow bei AWS. Und, bedeutsam: Zudem fehlt der Cash Flow, den das E-Commerce-Geschäft verschlingt, bei AWS, so dass wir bezweifeln, dass Amazon im Cloud-Geschäft langfristig mit Google und Microsoft wird mithalten können.

Jedenfalls ist Amazon nur lebensfähig, solange der Kapitalmarkt das permanente Geldverbrennen goutiert. Das muss und sollte jedem bewusst sein, der bei Amazon investiert. Das Risiko bei Amazon ist aus unserer Sicht enorm hoch, und die Erfahrung lehrt, dass sich theoretische Risiken irgendwann auch materialisieren. Und das bei einer – unternehmerisch sauber gerechnet – astronomisch hohen Bewertung der Firma / Aktie.

Zwischen der Qualität und Bewertung von Apple und Google auf der einen Seite sowie Amazon und Netflix auf der anderen Seite liegen nach unserer Auffassung somit Welten. Bei Apple und Google handelt es sich um digitale – kapitalleichte und hochskalierbare –Plattformunternehmen, die erst am Anfang eines noch höheren Wachstumspfades stehen dürften und mit denen man als Langfristinvestor auch zukünftig bei sehr geringem Risiko eine ansprechende Wertsteigerung erzielen sollte, gerade auch mit Blick auf die gemessen an der Qualität der Geschäftsmodelle keineswegs teuren Bewertungen; auch wenn es natürlich auch hier Risiken gibt wie beispielsweise das Kartellrecht oder das hohe und zunehmende Maß an Komplexität.

Apple, aber auch andere Plattformunternehmen wie Google, Meta, Microsoft und Visa verfügen über extrem hohe Größen- und – als Mehrprodukt-Unternehmen – mittlerweile auch Verbundvorteile, was die Grenzkosten (also die Zusatzkosten pro weiterem Nutzer) massiv drückt und fast gegen Null sinken lässt, weil die Fixkosten sehr gering und die variablen Kosten noch geringer sind. Daher sind die Margen pro Nutzer sehr hoch. Selbst bei sinkenden Preisen steigen Umsatz und Margen bei schneller wachsender Nachfrage (Werbegeschäft bei Google/YouTube und Meta, die App-Geschäfte, Windows von Microsoft, die Cloud-Geschäfte, die Payment-Plattform von Visa etc.) und zusätzlich bei Nachfrage nach mehreren Produkten (die Ökosysteme von Apple und Google). Allerdings haben Plattform-Unternehmen aufgrund ihrer hohen Produktattraktivität sowie der hohen Kosten für den Aufbau alternativer Plattformen prinzipiell eine hohe Preissetzungsmacht, so dass diese Firmen niedrigere Preise nur dann einsetzen, wenn dies den Umsatz über eine besonders schnell steigende Nachfrage noch stärker befeuert (z.B. das Werbegeschäft von Google und Meta) als steigende Preise den Umsatz erhöhen (z.B. iPhones/Macs oder Windows). Sodann verstehen es die Plattformfirmen, sich wiederkehrende Einnahmen pro Nutzer zu erschließen, etwa durch Abos, was die Grenzkosten weiter sinken lässt. Und die Plattformunternehmen fügen immer neue Produkte hinzu, was die Kosten pro Nutzer noch mehr senkt und die Verbundvorteile ständig erhöht.

Apple, Google, Microsoft, Visa und einige wenige andere Firmen sind hochprofitable PLATTFORMUNTERNEHMEN; Amazon, Netflix oder auch Tesla sind PRODUKTIONSUNTERNEHMEN.

Produktionsfirmen und Betreiber stark physischer Plattformen sind geschäftsmodellbedingt kapitalintensiv, skalenschwach und niedrigmargig; ihre Geschäftsmodelle sind deshalb wesentlich risikoreicher, weshalb auch ein entsprechendes Investment in Firmen wie Amazon und Netflix wesentlich riskanter ist, nicht zuletzt in Anbetracht der sehr hohen Bewertung dieser Firmen.

Für Netflix ist die Produktion von Content nicht nur teuer, sondern darüber hinaus im großen Maße abhängig von Blockbustern. Hinzu kommen hoher Wettbewerbsdruck und Konzentration durch Amazon mit MGM sowie TimeWarner mit Discovery. Bei einem Unternehmen wie Netflix sinken zwar die Grenzkosten für einen einmal produzierten oder eingekauften Inhalt bei steigender Nutzerzahl (und auch bei mehrmaliger Wiedergabe des Inhalts). Allerdings muss (!) Netflix permanent neue Inhalte produzieren, um Kunden zu halten und neue Kunden zu gewinnen. Das begrenzt die Marge pro Kunde wie bei anderen normalen Produktionsfirmen. Außerdem produzieren auch viele andere Wettbewerber Inhalte wie z.B. Disney, Amazon und Apple. Die beiden letztgenannten Firmen müssen mit den Inhalten außerdem nicht unbedingt Geld verdienen, weil ihre Produktplattformen für Nutzer mit den Inhalten noch attraktiver werden, und so neue Nutzer auf die Plattform kommen, die nicht nur diese Inhalte abonnieren, sondern auch andere Plattform-Produkte nutzen. Dies drückt auch auf die Preise für Netflix.

Fazit: Die Überlegenheit von erstklassigen Plattformunternehmen wie Apple & Co. hat somit handfeste ökonomische Gründe, die in einem geringen Kapitaleinsatz, hohen Skaleneffekten, wenig Wettbewerb bzw. einer exklusiven Marktposition und entsprechend hohen, gut planbaren Margen sowie einer starken Bilanz zu sehen sind. Diese Vorzüge des Geschäftsmodells haben im Übrigen auch Einfluss auf die Wandlungsfähigkeit und Wandlungsbereitschaft sowie die Komplexität von Firmen und deren Bewältigung; ein Aspekt, den man als Investor nicht vernachlässigen sollte, da sich Märkte schnell ändern können, gerade im Tech-Bereich. Wandlungsfähigkeit und -bereitschaft sowie Komplexitätsreduktion sind für uns daher wichtige Kriterien bei der Beurteilung und Bewertung von Unternehmen aus der Technologiebranche.

Das Geschäftsmodell von Apple sowie die Geschäftszahlen zum dritten Quartal 2022/2023 beleuchten wir ausführlich in unserem neuen Format „Unternehmerische Perspektive“.