In der öffentlichen Debatte um Bitcoin dominieren oftmals Schlagworte wie „Kriminalitätswährung“ oder „ungleich verteilt“. In seiner Analyse widerspricht Dr. Leif Richter mehreren, jetzt auch vom Flossbach von Storch Research Institute geäußerten Kritikpunkten entschieden – mit Fakten, Kontext und ökonomischer Einordnung. Seine zentrale These: Viele der genannten Kritikpunkte betreffen nicht Bitcoin als System, sondern offenbaren tieferliegende gesellschaftliche oder regulatorische Herausforderungen.
Gesellschaftliche Herausforderungen statt systemischer Mängel: Eine kritische Einordnung der Bitcoin-Debatte
Der Artikel „Bitcoin: Massenmarkt oder Elitezirkel?“ des Flossbach von Storch Research Institute widmet sich der Frage, ob Bitcoin ein Instrument für breite Bevölkerungsschichten oder für eine privilegierte Elite sei. Dabei werden unter anderem folgende Aspekte kritisch betrachtet: die Nutzung von Bitcoin für kriminelle Zwecke, eine angeblich unfaire Vermögensverteilung sowie der Umstand, dass Bitcoin in regulatorischer Hinsicht problematisch sei. Im Fazit wird unter anderem betont, dass wesentliche Akteure im Bitcoin-System sich teilweise außerhalb gesetzlicher Rahmenbedingungen bewegen würden und dass daher ein Vergleich zu Gold nicht angemessen sei.
Eine genauere Analyse zeigt jedoch, dass die genannten Kritikpunkte nicht zwangsläufig gegen Bitcoin sprechen, sondern vielmehr auf gesellschaftliche, infrastrukturelle und regulatorische Rahmenbedingungen zurückzuführen sind, die über den spezifischen Anwendungsfall Bitcoin hinausgehen.
Bitcoin und Kriminalität: Technologiemissbrauch statt Technologieversagen
In öffentlichen und politischen Debatten wird Bitcoin immer wieder mit kriminellen Aktivitäten in Verbindung gebracht. So diente Bitcoin in der Vergangenheit unter anderem als Zahlungsmittel auf der berüchtigten Plattform „Silk Road“ oder bei sogenannten „Ransomware“-Angriffen. Daraus wird häufig der Schluss gezogen, Bitcoin diene primär der Anonymisierung und Umgehung staatlicher Kontrolle.
Diese Argumentation ist jedoch verkürzt. Tatsächlich ist die Bitcoin-Blockchain öffentlich einsehbar und erlaubt – anders als Bargeld – eine vollständige Nachverfolgbarkeit von Transaktionen. Strafverfolgungsbehörden wie das FBI oder Europol konnten mit Hilfe von Blockchain-Analysefirmen wie Chainalysis mehrfach komplexe Geldwäsche- und Erpressungsnetzwerke aufdecken (Europol 2021).
Zudem zeigt eine Untersuchung von Chainalysis aus dem Jahr 2022, dass nur etwa 0,24 % aller Bitcoin-Transaktionen mit illegalen Aktivitäten in Verbindung stehen (Chainalysis Crypto Crime Report 2022). Im Gegensatz dazu schätzt die UNODC (United Nations Office on Drugs and Crime), dass weltweit rund 2–5 % des globalen BIP – also mehrere Billionen US-Dollar – jährlich durch illegale Aktivitäten mit Fiat-Währungen gewaschen werden (UNODC Global Report on Money Laundering 2020).
Bitcoin ist demnach kein bevorzugtes Mittel von Kriminellen, sondern ein neues Werkzeug, das wie jede Technologie sowohl konstruktiv als auch destruktiv genutzt werden kann. Die Fähigkeit zur transparenten Analyse stellt im Gegenteil sogar ein potenziell stärkeres Instrument für Rechtsstaatlichkeit und Kontrolle dar als viele althergebrachte Geldsysteme.
Vermögensverteilung: Bitcoin im Vergleich zu traditionellen Vermögensklassen
Ein zentraler Kritikpunkt im Artikel ist die ungleiche Verteilung von Bitcoin-Vermögen. Einige wenige „Wale“ – also Großhalter – sollen überproportionale Anteile besitzen und damit den Markt dominieren.
Dieses Phänomen ist nicht spezifisch für Bitcoin, sondern charakteristisch für nahezu jede Vermögensklasse. Laut Daten der Deutschen Bundesbank aus dem Jahr 2021 besitzen die reichsten 10 % der deutschen Haushalte rund 60 % des Gesamtvermögens (Bundesbank Monatsbericht 03/2021). Bei Immobilienbesitz ist die Ungleichverteilung besonders ausgeprägt: In Deutschland besitzen die obersten 20 % etwa 80 % des gesamten Immobilienvermögens (DIW Wochenbericht 2020/31). Im Aktienmarkt sieht es ähnlich aus: In den USA kontrollieren die reichsten 1 % mehr als 50 % des Aktienbesitzes (Federal Reserve Distributional Financial Accounts Q4/2022).
Auch bei Bitcoin ist die Lage differenzierter als oft dargestellt. Viele große Bitcoin-Adressen gehören zu Börsen oder institutionellen Custodians, die das Vermögen vieler Kleinanleger aggregieren (Glassnode Report 2021). Das bedeutet, dass die vermeintliche Konzentration nicht zwangsläufig mit Machtasymmetrie gleichzusetzen ist. Im Gegenteil: Dank der dezentralen Struktur hat jeder technisch versierte Nutzer die Möglichkeit, selbst ein Wallet zu betreiben, eigene Schlüssel zu verwalten und damit Kontrolle über sein Vermögen zu erlangen – ein Prinzip, das bei Aktien oder Immobilieneigentum in dieser Form kaum existiert.
Zudem gibt es über die Zeit hinweg eine zunehmende „Verteilung“ durch Marktteilnahmen neuer Akteure, Adoption durch Emerging Markets (z.B. in Nigeria, Venezuela oder Argentinien) und Micro-Investment-Plattformen, die Bitcoin ab wenigen Euro zugänglich machen (Chainalysis Geography of Cryptocurrency Report 2022).
Regulierung: Der Mythos vom rechtsfreien Raum
Der Artikel betont, dass viele Akteure im Bitcoin-Sektor außerhalb staatlicher Regulierung agieren würden. Diese Kritik greift zu kurz, da die regulatorische Landschaft sich in den letzten Jahren drastisch gewandelt hat.
Die EU hat mit MiCA (Markets in Crypto-Assets) erstmals einen umfassenden regulatorischen Rahmen für Kryptowährungen geschaffen, der ab 2024 verbindlich gilt (European Commission 2023). Die USA verfolgen mit verschiedenen SEC- und CFTC-Vorschriften eine klare institutionelle Einbindung von Krypto-Plattformen, insbesondere im Kontext der Zulassung von Bitcoin-ETFs (SEC Approval of Spot Bitcoin ETFs 2024). Auch Japan, Singapur und Kanada gelten als Vorreiter einer erfolgreichen Integration von Krypto-Infrastruktur in bestehende regulatorische Systeme (IMF Fintech Note 2023/001).
Ein rechtsfreier Raum existiert also längst nicht mehr. Vielmehr ist die Herausforderung eine globale Koordination, wie sie auch im Bereich von Steueroasen, Geldwäsche oder internationalem Aktienhandel besteht. Bitcoin ist dabei weder Ausnahme noch Ursache, sondern schlicht Teil einer übergeordneten Strukturveränderung im Finanzwesen.
Gold vs. Bitcoin: Überfälliger Vergleich zweier Wertspeicher
Der Artikel lehnt einen Vergleich von Bitcoin mit Gold ab. Dabei liegt ein solcher Vergleich in vielerlei Hinsicht nahe. Beide Assets sind begrenzt, extrahierbar (Mining vs. Goldabbau), nicht direkt staatlich kontrollierbar und dienen Investoren weltweit als „sicherer Hafen“ in inflationären Zeiten.
Bitcoin hat gegenüber Gold einige Vorteile: Die Teilbarkeit ist nahezu unbegrenzt, der Transfer über Landesgrenzen hinweg ist innerhalb von Minuten möglich, und das Asset ist immun gegen physische Beschlagnahmung, solange der private Schlüssel gesichert ist. Zudem war die Performance von Bitcoin in den letzten zehn Jahren Gold deutlich überlegen – trotz höherer Volatilität (ARK Invest Big Ideas 2023).
Selbst Zentralbanken wie jene von El Salvador oder Initiativen wie „Bitcoin Strategic Reserve“ in den USA zeigen, dass Bitcoin zunehmend als strategisches Asset anerkannt wird (Washington Post, Mai 2025).
Fazit: Die Debatte braucht Differenzierung
Die im Artikel des Flossbach von Storch Research Institute genannten Kritikpunkte sollten nicht ignoriert, aber differenziert betrachtet werden. Weder Kriminalität noch Vermögenskonzentration oder regulatorische Grauzonen sind spezifische Schwächen von Bitcoin, sondern spiegeln allgemeine gesellschaftliche und wirtschaftliche Realitäten wider.
Bitcoin bietet nicht nur eine neue Form von Geld, sondern auch die Chance auf ein inklusiveres, globaleres und transparenteres Finanzsystem – vorausgesetzt, die Rahmenbedingungen werden mitgestaltet und neue Entwicklungen nicht aus Angst vor Missbrauch pauschal abgelehnt.
Eine sachliche Diskussion erfordert die Abkehr von ideologisch gefärbten Narrativen hin zu einer empirisch fundierten Auseinandersetzung. Bitcoin ist weder Allheilmittel noch Bedrohung – sondern ein Ausdruck des digitalen Wandels, den es konstruktiv zu begleiten gilt.
Gerade deshalb ist es schade, dass sich die Autoren des Artikels „Bitcoin: Massenmarkt oder Elitezirkel?“ in diesem Fall für eine so einseitig kritische Darstellung entschieden haben. Vermögensverwaltern kommt eine besondere Verantwortung zu, innovative Entwicklungen objektiv zu bewerten und das gesamte Spektrum an Chancen und Risiken zu reflektieren. Bitcoin bietet – richtig eingeordnet – vielfältige Möglichkeiten, bestehende Portfolios strategisch zu ergänzen und zukunftsorientiert auszurichten. Eine differenzierte Diskussion wäre daher nicht nur wünschenswert, sondern im Interesse einer aufgeklärten und verantwortungsbewussten Anlegergemeinschaft unerlässlich.
Dr. Leif Richter, Dietrich & Richter Private Asset Management AG
Bild © Dietrich & Richter Private Asset Management AG
