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Anleger können der Standortmisere in Deutschland entgehen

Markets and NewsAnleger können der Standortmisere in Deutschland entgehen

Prof. Dr. Jan Viebig, Chief Investment Officer der ODDO BHF SE, kommentiert wöchentlich was die Märkte bewegt. In seinem aktuellen CIO View empfiehlt er, die Geldanlage international auszurichten und sich nicht von US-Aktien abzuwenden:

„… Anleger sollten sich auf keinen Fall zu sehr auf den Finanzplatz Deutschland stützen. Eine international ausgerichtete Geldanlage ist mehr denn je das Gebot der Stunde. Auch der Niedergang der USA ist seit Jahren ein beliebtes Thema in den Medien, etwa, wenn es darum geht, wie eine Neuordnung der Welt künftig aussehen könnte, wenn die USA nicht mehr die unumstrittene Führungsmacht der Welt sein sollten.

Doch was die Finanzmärkte angeht, so haben die USA in den vergangenen Jahren – ganz besonders seit der Finanzkrise von 2008 – ihre Führungsrolle entscheidend ausgebaut. An amerikanischen Aktien kommen Anleger kaum noch vorbei. …

Die Führungsrolle der USA an den Weltbörsen hängt nicht an der Politik. Gleichgültig, ob ein Demokrat oder ein Republikaner im Weißen Haus das Sagen hatte, baute das Land in den vergangenen Jahren seine Spitzenposition in der Welt der Finanzen spürbar aus. In diesem Bereich rangiert Deutschland heute unter ferner liefen. Die Marktkapitalisierung des deutschen Aktienmarktes liegt, gemessen am Deutschen Aktienindex Dax, bei rund 1,7 Billionen Euro. Allein die Marktkapitalisierung des amerikanischen Computerchip-Produzenten Nvidia ist doppelt so hoch und beträgt aktuell 3,4 Billionen Euro. Apple kommt auf 3,2 Billionen Euro und Microsoft auf 2,9 Billionen Euro. Daneben ist die schwerste deutsche Aktie, SAP, mit einer Marktkapitalisierung von etwa 270 Milliarden Euro ein Leichtgewicht.

Die Performance am deutschen Aktienmarkt bleibt seit Jahren hinter der Entwicklung an der Wall Street zurück. In den vergangenen fünf Jahren ist der Deutsche Aktienindex Dax um kumuliert 45 Prozent in Euro gestiegen. Das ist nicht schlecht. Doch in diesem Zeitraum hat der marktbreite amerikanische Aktienindex S&P 500 mehr als doppelt so viel geschafft, einen Anstieg von 115 Prozent in Euro. Der auf Technologie-Titel ausgerichtete Nasdaq 100 ist in den vergangenen fünf Jahren sogar um 167 Prozent in Euro gestiegen. Dieser Rückstand in der Performance ist im Übrigen kein rein deutsches Phänomen. Er trifft ganz Europa: Der französische Standardwerte-Index CAC 40 etwa ist in den vergangenen fünf Jahren kumuliert nur um 38 Prozent gestiegen.*

Zudem hat der Aktienmarkt für die deutsche Wirtschaft an Bedeutung verloren. Im vergangenen Jahr 2023 betrug die Marktkapitalisierung der deutschen börsennotierten Unternehmen 47,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das Rekordhoch liegt lange zurück. Im Jahr 1999 erreichte der Börsenwert der deutschen Unternehmen 66,9 Prozent. In den Vereinigten Staaten überstieg der Börsenwert der Unternehmen im Übrigen mit 156,5 Prozent im Jahr 2022 sogar das Bruttoinlandsprodukt.

Die deutsche Wirtschaft wurde früher für ihren Mittelstand, ihre Innovationskraft und ihre Leistungsfähigkeit beneidet. Grundlegende Reformen in der deutschen Wirtschaftspolitik, in der Ausbildung, im Schulwesen und in der Sozialpolitik, in der Energiepolitik und eine geringere Regulierungsdichte tun dringend not. Denn die demografische Entwicklung ist bereits ein Standortnachteil, der sich kaum noch verändern lässt. Gleichgültig, was die Politiker in Berlin entscheiden, wird der Altersdurchschnitt der Bevölkerung in den kommenden Jahrzehnten weiter steigen. Doch diese Hypothek ließe sich ausgleichen – durch eine kluge Politik, die auf eine Steigerung von Effizienz und Produktivität ausgerichtet ist. Hier bietet die Künstliche Intelligenz viele Chancen. Doch die Unternehmer benötigen mehr Freiraum, damit sich Innovationen und Erfolg wieder entfalten können.

Ungeachtet aller politischen Querelen eint die USA die Grundüberzeugung, dass die Unternehmen der zentrale Faktor sind, der das Land trägt. Innovationen lassen sich in den USA leichter entwickeln, leichter finanzieren und leichter auf den Markt bringen. Für die USA spricht, dass das Produktionspotential – und damit das erwartete langfristige Wachstum – höher und die Arbeitsproduktivität seit den 1990er Jahren weitaus schneller gestiegen ist als in Europa. Mit über 16 Prozent ist die Eigenkapitalrendite in den USA zudem deutlich höher als in Deutschland und Frankreich mit etwas über 9 Prozent. Infolge der höheren Eigenkapitalrentabilität schaffen US-amerikanische Unternehmen höhere ökonomische Gewinne für ihre Anteilseigner. Die politische Entwicklung in den USA muss man nicht gutheißen. Sich vom US-Aktienmarkt zu früh abzuwenden, könnte sich jedoch als Fehler erweisen. Einer der nach unserer Überzeugung besten Ratschläge für 2025 lautet: Investieren Sie international. Eine internationale Diversifikation ist das beste Rezept, der deutschen Misere zu entgehen, das Risiko durch eine breitere Streuung zu senken und damit die risikoadjustierte Rendite in ihrem Portfolio zu erhöhen.“