Friday 29-Mar-2024
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Atom- und Gas-Kompromiss gefährdet Ziel der EU-Taxonomie

OpinionsAtom- und Gas-Kompromiss gefährdet Ziel der EU-Taxonomie

Von einem wissenschaftlichen Konsens sind wir jetzt zu einem politischen Kompromiss übergegangen. Wir glauben, dass damit ein mehrstufiger Ansatz für die Taxonomie geschaffen wird, der letztlich das grundlegende Ziel der EU-Agenda für nachhaltige Finanzen beeinträchtigen könnte: mehr Transparenz und eine gemeinsame Sprache darüber zu schaffen, was grün und nachhaltig bedeutet. Die Einbeziehung von Gas und Kernenergie in die Offenlegungspflicht wird nicht vor 2023 erwartet. Es ist auch wichtig zu beachten, dass Aktivitäten, die als „Übergang“ kategorisiert sind, alle drei Jahre überprüft werden.

Unterschiedliche Gründe für die Einbeziehung

Obwohl sie unter dem gleichen Status „Übergang“ zusammengefasst sind, ist die Begründung für die Einbeziehung von Kernkraft und Gas als Übergangsaktivitäten sehr unterschiedlich. Die Kernenergie wurde als kohlenstoffarme Stromquelle aufgenommen, die unter bestimmten strengen Bedingungen die Grundsätze der „Do No Significant Harm“-Prinzipien einhalten kann – das heißt, sie darf anderen Umweltzielen der Taxonomie keinen erheblichen Schaden zufügen. Die Kernenergie wird in mehreren europäischen Ländern als Schlüssel zur Dekarbonisierung ihrer Grundlasterzeugung angesehen, also als Alternative zur Kohle.

Gas wurde als Übergangsenergie hinzugefügt, die einen gewissen Klimanutzen bringen könnte, wenn sie kohlenstoffintensivere fossile Brennstoffe (Kohle und Diesel) verdrängt und wenn die Kraftwerke unter strengen Bedingungen betrieben werden. Das sind etwa hochmoderne Gas- und Dampfturbinenkraftwerke, die auf kohlenstoffärmere Energiequellen wie Wasserstoff umsteigen könnten, wenn dieser einmal wirtschaftlich rentabel wird.

Kernenergie: CO2-arm, aber problematisch

Die Kernenergie gehört mit einem CO2-Ausstoß von etwa 20-40 g/kWh zu den kohlenstoffärmsten Energiequellen der in einigen Fällen sogar niedriger ist als der von erneuerbaren Energien auf Lebenszyklusbasis. Die Klimavorteile der Kernenergie sind also unbestreitbar.

Die Kernenergie ist jedoch mit anderen Herausforderungen konfrontiert, die zu Umweltproblemen führen können: Sicherheitsprobleme, Wasserverbrauch und die noch ungelöste Frage der Lagerung radioaktiver Abfälle. All diese Herausforderungen könnten im Rahmen des Kriteriums „keine nennenswerten Schäden“ von Bedeutung sein, das besagt, dass der Nutzen für das Klima nicht andere negative Umweltauswirkungen mit sich bringen darf. Die Kommission kam jedoch in der umfassenden Studie, die von ihrem wissenschaftlichen Arm, dem Gemeinsamen Forschungsausschuss, geleitet wurde, zu dem Schluss, dass die Kernenergie unter strengen technologischen, betrieblichen und ökologischen Bedingungen als grüne Energiequelle im Sinne der Taxonomie angesehen werden kann.

Gas: Besser als Kohle, aber bremst Fortschritt

Die Aufnahme von Erdgas in die Taxonomie beruht auf einem sehr pragmatischen – Kritiker könnten auch sagen: kurzsichtigen – Ansatz zur Dekarbonisierung: Die Ersetzung von Kohlekapazitäten durch Gaskraftwerke wird sich positiv auf das Klima auswirken, da der Kohlenstoff-Fußabdruck von Erdgas über den gesamten Lebenszyklus hinweg nur etwa halb so groß ist wie der von Kohle, wenn man von begrenzten Methanleckagen ausgeht.

Längerfristig stellt sich jedoch die Frage, ob Europa in der Lage sein wird, sein Netto-Null-Ziel bis 2050 zu erreichen. Im Rahmen dieses Ziels hat die Dekarbonisierung der Stromerzeugung oberste Priorität und sollte in Europa bis spätestens 2035 erreicht werden. Das bedeutet, dass jedes neue Gaskraftwerk, das bis 2035 in Betrieb genommen wird, das Erreichen des Netto-Null-Stroms bis 2035 erschweren wird, da die Treibhausgasemissionen für Jahrzehnte festgeschrieben sind.

Schlechtes Timing?

Der aktuelle energiepolitische Kontext hat bei diesem Kompromiss eine große Rolle gespielt. Dieser Wandel findet zu einem Zeitpunkt statt, an dem Europa mit rekordverdächtig hohen Energiepreisen zu kämpfen hat, die die Regierungen und EU-Institutionen unter Druck setzen, die Erschwinglichkeit und Versorgungssicherheit zu schützen, während sie gleichzeitig ihre grüne Agenda umsetzen.

Alix Chosson, Lead ESG Analyst bei Candriam