Von Sonya Likhtman, Lead Engager – Federated Hermes Biodiversity Fund, EOS bei Federated Hermes: Ein Versagen der Klimapolitik („climate action failure“) und der Verlust der biologischen Vielfalt („biodiversity loss“) sind laut dem Global Risks Report 2022 des Weltwirtschaftsforums die beiden größten Risiken, denen unser Planet in den kommenden zehn Jahren ausgesetzt sein wird. Zwar stehen unter dem Aspekt „E“ („Environment“) der ESG-Kriterien Fragen rund um den Klimawandel nach wie vor im Mittelpunkt. Das Thema Biodiversitätsverlust hat jedoch rapide an Bedeutung gewonnen.
Der Verlust von Biodiversität stellt ein systemisches Risiko für die Wirtschaft und ein Risiko für Anleger dar. Wenn der Fokus allein auf das Thema Klimawandel gerichtet wird, werden Anleger kaum in der Lage sein, angemessen zur erfolgreichen Bewahrung von Biodiversität und Ökosystemen beizutragen. Hier ist eine effizientere Vorgehensweise bei der Integration von Unternehmen in den Dialog über diese Themen notwendig.
Untrennbar verbunden: Kampf gegen Biodiversitätsverlust und gegen den Klimawandel
Der Klimawandel ist eine der fünf Hauptursachen für den Verlust von Biodiversität. Durch die immer stärker werdenden Auswirkungen des Klimawandels, etwa Temperaturveränderungen und Extremwetterereignisse, wird dieser Verlust voraussichtlich noch zunehmen (Quelle 1). Der Schutz und die Wiederherstellung der Biodiversität würden es uns ermöglichen, die negativen Folgen des Klimawandels zu begrenzen und Anpassungsmaßnahmen zu treffen: etwa über die Kohlenstoffbindung in Böden, Wäldern, Mooren und anderen Ökosystemen oder durch den natürlichen Schutz vor Überschwemmungen und Stürmen.
Bei der 26. Weltklimakonferenz in Glasgow stand die Rolle der Natur bei der Bekämpfung des Klimawandels verstärkt im Fokus. Die Länder vereinbarten, den Waldverlust und die Verschlechterung der Böden zu stoppen und umzukehren. Finanzinstitute und Anleger verpflichteten sich, in ihren Portfolios durch Due Diligence und den Dialog mit Portfoliounternehmen gegen die fortschreitende Entwaldung anzugehen. Anders als beim Klimawandel, für dessen Erfassung CO2-Emissionen gemessen werden können, ist der Biodiversitätsverlust schwieriger zu beurteilen und zu vergleichen. Denn dessen Auswirkungen sind häufig lokal begrenzt und über verschiedene Lieferketten hinweg verteilt. Für die Anleger stellt dies eine Herausforderung dar: Die Bewertung der Auswirkungen auf die Biodiversität und die Abhängigkeit eines Unternehmens von diesem Faktor ist kompliziert – auch wenn die „Taskforce on Nature-related Financial Disclosures“ einen Beitrag zur Stärkung und Harmonisierung entsprechender Maßnahmen leisten dürfte.
Trotz aller Hürden ist es aus ökologischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gründen unabdingbar, dass Anleger Biodiversität – neben dem Klimawandel – zu einer Stewardship-Priorität machen. Wir fordern Unternehmen dazu auf, bis spätestens 2030 durch ihre Geschäftstätigkeit und Lieferketten einen positiven Nettoeffekt für die Biodiversität zu erzielen (Quelle 2).
Zwei Fliegen mit einer Klappe dank naturbasierter Lösungen
Die Mechanismen zum Erreichen dieses Ziels dürften sich je nach Unternehmen und Sektor unterscheiden, doch einige Strategien sind in der Lage, klima- und umweltbezogenen Herausforderungen gleichermaßen zu begegnen. Wenn Wertschöpfungsketten etwa einen Beitrag zur Bekämpfung der Entwaldung leisten, werden dadurch auch biodiverse Ökosysteme geschützt, die eine wichtige kohlenstoffsenkende Funktion erfüllen. Ebenso ist der Übergang zu einem nachhaltigeren Ernährungssystem von entscheidender Bedeutung, da bis zu 30 Prozent der globalen Emissionen derzeit auf dieses System zurückzuführen sind und für die Nutztierhaltung und den Anbau von Futtermitteln immense Flächen benötigt werden. Mit naturbasierten Lösungen kann auch der doppelten Herausforderung von Klimawandel und Biodiversitätsverlust begegnet werden.
Das Engagement sollte sich auf die wichtigsten Auswirkungen der Unternehmen und den von ihnen ausgehenden Druck auf die Biodiversität fokussieren, etwa im Zusammenhang mit dem Wandel in der Nutzung von Land, dem Klimawandel und der Umweltverschmutzung. Ebenso wird mehr Innovation bei den Produktionsprozessen, den Lieferketten und den Produkten nötig sein, um das ehrgeizige Ziel eines positiven Nettoeffekts auf Unternehmensebene zu erreichen. Diese Ziele sollten von einer starken Unternehmens-Governance, effektiven Messungen, wirkungsvollen Strategien sowie von einer regelmäßigen Berichterstattung begleitet werden.
Schutz der Biodiversität wird noch zu wenig beachtet
Das Engagement für Biodiversität nimmt stetig zu, so etwa in Form der anstehenden gemeinsamen Engagement-Initiative „Nature Action 100“. Allerdings besteht branchenweit noch Bedarf an weiteren Partnerschaften. Ein politisches Umfeld, das Anleger und Unternehmen dazu anregt, effektiv dazu beizutragen, den Verlust von Biodiversität aufzuhalten und umzukehren, ist ebenfalls von entscheidender Bedeutung. Daher werden wir uns bei der kürzlich auf den Dezember verlegten 15. Vertragsstaatenkonferenz zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt (COP15) über die „Finance for Biodiversity Foundation“ auch weiterhin für ein ehrgeiziges Konferenzergebnis im Sinne einer wirkungsvollen Transformation einsetzen (Quelle 3).
Der Mehrwert von Biodiversität und „Ökosystemleistungen“ – der von der Natur bereitgestellten Gemeingüter wie sauberer Luft und sauberem Wasser, fruchtbaren Böden, Bestäubung und günstigen Klimabedingungen – erhält bislang wenig Beachtung von Unternehmen und ihren Anlegern. Wenn wir jetzt nicht handeln, drohen jedoch der Zusammenbruch von Ernährungssystemen, die Überlastung unseres Planeten sowie erhebliche finanzielle Auswirkungen für die gesamte Weltwirtschaft. Der Verlust von Biodiversität und der Klimawandel sind zwar untrennbar miteinander verbunden, doch das Thema Biodiversität wird derzeit kaum beachtet und angegangen. Die Anleger sind jetzt dazu angehalten, die Frage der Biodiversität auf dem gesamten Planeten ganz oben auf ihre Agenda zu setzen und sicherzustellen, dass der Schutz und die Wiederherstellung von Biodiversität zu einer übergeordneten Priorität von Unternehmen wird.
Quellen:
(1) IPBES, Global Assessment Report on Biodiversity and Ecosystem Services (2019)
(2) EOS, Our Commitment to Nature (2021)
(3) Finance for Biodiversity, Aligning financial flows with biodiversity goals and targets (2022)
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