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EU-Taxonomie: Was Anleger*innen jetzt beachten müssen

TopicsEU-Taxonomie: Was Anleger*innen jetzt beachten müssen

von Gesa Vögele, Mitglied der Geschäftsführung, Corporate Responsibility Interface Center (CRIC) e.V., und Stefan Fritz, Investmentfonds & Research, GLS Bank.

Die Europäische Union bringt die Akteure am europäischen Finanzmarkt gehörig ins Schwitzen. Im Mai 2018 hat die EU-Kommission den EU Aktionsplan zur Finanzierung Nachhaltigen Wachstums verabschiedet. Darin hat sie konkrete Maßnahmen beschlossen, wie der Finanzmarkt zur Erreichung der ambitionierten Klimaschutzziele der EU sowie der Nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen (SDG) beitragen soll. Seitdem herrscht EU-weit rege Betriebsamkeit. Überall werden Konferenzen abgehalten, Beiräte gegründet, Stellungnahmen veröffentlicht, um sich auf die bevorstehenden Schritte vorzubereiten.

Besonders eine Maßnahme ist Gegenstand der Diskussion: Die EU-Taxonomie. Sie ist das Herzstück des Aktionsplans. Mit ihr soll Klarheit am Finanzmarkt geschaffen werden, welche wirtschaftlichen Tätigkeiten zur Erreichung der oben genannten Ziele beitragen. Eine Sachverständigengruppe machte sich vergangenen Sommer ans Werk, diese Maßnahmen auszugestalten. Am 18. Juni 2019 veröffentlichte sie ein viel beachtetes Zwischenergebnis: Ein mehr als 400 Seiten starker technischer Bericht, der detailliert festlegt, welche Tätigkeiten im Einklang mit der Taxonomie sind.

Doch was heißt dies für die verschiedenen Teilnehmer am Kapitalmarkt? Was kommt auf sie zu? Wer ist betroffen? Bis wann ist Zeit, sich darauf vorzubereiten? Können sie sich am Prozess beteiligen? In diesem Artikel möchten wir Antworten auf diese und weitere wichtigen Fragen geben:

Das Taxonomie-Grundgerüst: Eine Liste an Aktivitäten, die sechs ökologische Ziele verwirklichen sollen

Die Taxonomie stellt nichts anderes als eine Liste von Wirtschaftstätigkeiten dar, die einen substanziellen Beitrag zu sechs ökologischen Zielen leisten sollen. Sie basiert auf Expertise aus Branche, Zivilgesellschaft und Wissenschaft und soll dynamisch im Laufe der Zeit den technologischen Wandel berücksichtigen. Es gibt auch keine graduelle Abstufung oder Note wie bei ESG- Ratings. Sobald fertiggestellt, soll sie Finanzmarktteilnehmern dazu dienen, die Umweltperformance ihrer (nachhaltigen) Aktien- oder Rentenfonds zu messen und darüber zu berichten. Der EU-Kommission schwebt vor, dass sie eine Ausgangsbasis für die Gestaltung neuer, grüner Finanzprodukte ist. In dem Zusammenhang ist auch die Einführung eines Ecolabels für grüne Investmentfonds angedacht. Institutionellen Investoren sollen mit ihrer Hilfe Investment-Präferenzen formulieren oder Engagement betreiben.

Die sechs ökologischen Ziele der EU-Taxonomie

  1. Klimaschutz
  2. Anpassung an den Klimawandel
  3. Nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen
  4. Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Abfallvermeidung und Recycling
  5. Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung
  6. Schutz gesunder Ökosysteme

Im veröffentlichten Bericht hat die technische Arbeitsgruppe bisher Aktivtäten identifiziert, die einen substanziellen Beitrag zu den ersten beiden Zielen leisten, allein 67 für den Klimaschutz. Die weiteren Ziele und damit zusammenhängenden wirtschaftlichen Aktivitäten werden bis Ende 2022 ausgearbeitet.

Vor allem Anbieter nachhaltiger Investmentfonds betroffen

Die Taxonomie richtet sich in erster Linie an Anbieter unterschiedlicher Arten von Investmentfonds. Sie sollen offenlegen, inwiefern ihre Produkte im Einklang mit der Taxonomie stehen.

Das betrifft aber nicht alle Fondsanbieter. Derzeitiger Sachstand ist, dass nur institutionelle Investoren und Vermögensverwalter, die Investmentprodukte als nachhaltig vermarkten, erklären müssen, ob und wie sie die Taxonomie-Kriterien genutzt haben.

Nutzer und Anwendung der Taxonomie

 

Offenlegungspflichten

Optionale Nutzung

Asset Management

  • OGAW/AIF/Venture/Infrastruktur-Fonds
  • Portfoliomanagement

 

Versicherung

  • Versicherungsbasierte Investmentprodukte
  • Versicherung

Corporate- und Investment-Banking

  • Verbriefungsfonds/Venture Capital und Private Equity Fonds / Indexfonds
  • Portfoliomanagement
  • Verbriefung/ Venture Capital und Private Equity
  • Indizes
  • Projekt- und Unternehmensfinanzierung 

Retailbanking

  • Hypotheken/ Immobilien-, Auto- Hauskredite

Quelle: Tabelle basiert auf Seite 60 im EU Taxonomy Technical Report

In den vergangenen Monaten ist eine lange Debatte dazu entstanden, warum die Offenlegungspflichten nicht für alle Anbieter gelten. Hauptkritikpunkte am jetzigen Vorschlag sind Wettbewerbsnachteile für Anbieter nachhaltiger Finanzprodukte sowie eine mangelnde Hebelwirkung, da der Anteil nachteiliger Produkte nur ein Bruchteil des Gesamtmarktes ausmacht. Auch das EU-Parlament steht dem Vorschlag kritisch gegenüber. Es will stattdessen nahezu alle Fondsanbieter in die Pflicht nehmen und stellt darüber hinaus klar, dass die Offenlegungspflichten auch für Kreditinstitute und börsennotierte Unternehmen gelten sollten. Bisher sehen die Vorschläge für Banken und Unternehmen eine freiwillige Nutzung vor.

Wie Anleger*innen herausfinden, ob ihre Investments Taxonomie-konform sind

Für jede der identifizierten 67 Aktivitäten gibt es konkrete technische Kriterien. Akteure am Kapitalmarkt, die herausfinden wollen, inwieweit ihre Investments der Taxonomie entsprechen, haben drei Schritte dabei zu gehen. Zunächst müssen sie prüfen, ob ihre Anlagen einen substanziellen Beitrag leisten (substantially contribute). Zudem darf ein Investment keine anderen ökologischen Ziele (Do no significantly harm – DNSH) oder die ILO-Kernarbeitsnormen verletzen (social safeguards).


Quelle: Presentation EU Taxonomy, Seite 3

1. Ermittlung des substanziellen Beitrags: es gibt verschiedene Wege

Die Taxonomie definiert unterschiedliche Möglichkeiten, wie eine Aktivität substanziell beitragen kann. Beim Ziel Klimaschutz adressiert sie Tätigkeiten mit bereits geringen Emissionswerten, z. B. (nahe) Null-Emissions-Transport oder Aufforstung. Ebenso zielt sie auf Tätigkeiten ab, die niedrige Emissionen oder substanzielle Reduktionen von Emission ermöglichen (Greening durch Tätigkeiten). Beispiel hierfür sind Hersteller von Windrädern.

Aber nicht nur Windräder oder elektrische Straßenbahnen können einen substanziellen Beitrag leisten. Um emissionsintensive Wirtschaftssektoren klimafreundlicher zu machen, hat die technische Arbeitsgruppe auch bestimmte wirtschaftliche Tätigkeiten identifiziert, bei denen zwar noch kein Netto-Null-Emissionsstand erreicht wurde, die aber zu einer Netto-Null-Emissions-Wirtschaft im Jahr 2050 beitragen können. Hier geht es um das Greening von Tätigkeiten (z. B. Renovierung von Gebäuden oder Autos mit unterdurchschnittlichem CO2-Ausstoß). Bei der Aufstellung der Kriterien hat sich die Arbeitsgruppe an den Sektorvorreitern orientiert. Die Performance soll damit über den Industrie-Durchschnitt gehoben werden, vergleichbar mit einem Best-in-Class-Ansatz bei Nachhaltigkeitsfonds. Die Kriterien für diese Tätigkeiten sollen im Laufe der Zeit kontinuierlich verschärft werden mit dem Ziel, Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Als Grenzwert für stromerzeugende Wirtschaftsaktivtäten wurde beispielsweise heute 100g CO2/kWh gewählt. Dies schließt emissionsintensive Sektoren wie die Kohleindustrie bereits heute aus.


Quelle: Using the taxonomy, Supplementary Report 2019, Seite 14

2. Do no significant harm: Was gut für ein Ziel ist, darf nicht schlecht für die anderen Ziele sein

Investoren müssen darauf achten, dass ökonomische Tätigkeiten, die einen substanziellen Beitrag zu einem der sechs ökologischen Bereiche bzw. Ziele der Taxonomie leisten, kein anderes Umweltziel substanziell schädigen. Für jedes der sechs Umweltziele wurde dies näher spezifiziert. So sollte keine Tätigkeit zu erheblichen Treibhausgasemissionen (Ziel 1) und Schadstoffemissionen (Ziel 5) führen oder einen negativen Effekt auf die natürliche und bauliche Umwelt haben (Ziel 2). Der Zustand der Meere und Flüsse (Ziel 3) und weiterer Ökosysteme (Ziel 6) in der Europäischen Union darf nicht beeinträchtigt werden. Ebenfalls sollte eine erhebliche Ineffizienz bei der Materialnutzung in einer oder mehreren Phasen des Lebenszyklus von Produkten vermieden werden (Ziel 4). Für jede wirtschaftliche Tätigkeit wurden konkrete Kriterien festgelegt. Dieser Schritt hat auch zum jetzigen Sachstand zum Ausschluss von Kernkraft geführt, da es ungeklärte Fragen zur Entsorgung des atomaren Abfalls gibt, was in Konflikt zu Ziel 3 steht. Allerdings wird auf EU-Ebene weiterhin diskutiert, Kernkraft doch als eine treibhausgas-neutrale Technologie für die Taxonomie zuzulassen.

3. Soziale Kriterien: EU-Kommission setzt auf Mindeststandards

Bisher wurde viel von Umweltkriterien gesprochen. Was ist eigentlich mit sozialen Kriterien oder Kriterien der guten Unternehmensführung? Die EU-Kommission greift hier auf bestimmte soziale Mindestanforderungen (social safeguards) zurück. Das Unternehmen, das die Wirtschaftstätigkeit ausübt, muss die acht Kernarbeitsnormen in der Erklärung der Internationalen Arbeitsorganisation über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit befolgen. Dies sind das Recht, keiner Zwangsarbeit unterworfen zu werden, die Vereinigungsfreiheit, das Recht der Arbeitnehmer, sich zu organisieren, das Recht auf Tarifverhandlungen, gleiche Entlohnung für männliche und weibliche Arbeitnehmer für gleichwertige Arbeit, Nichtdiskriminierung und Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sowie das Recht, keiner Kinderarbeit unterworfen zu werden. Weiter geht die Taxonomie nicht. Insbesondere das Fehlen konkreter sozialer Ziele zum jetzigen Zeitpunkt sehen viele Marktteilnehmer sehr kritisch und wurde kontrovers diskutiert. Hier zeigt sich auch ein klarer Unterschied zwischen dem EU-Parlament und der EU-Kommission. So plädiert das Parlament dafür, dass auch die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, die Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte, (…) und die Internationale Charta der Menschenrechte, befolgt werden. Laut Parlamentsposition müssen weitere Leitlinien zu den Tätigkeiten erarbeitet werden, die zu anderen Nachhaltigkeitszielen, darunter soziale Ziele und Steuerungsziele [englische Version: governance objectives] beitragen. Nur so ließe sich die Agenda 2030 zur Erreichung der SDGs wirksam umsetzen.

Wie es weitergeht: Finanzmarktakteure können sich in den Prozess mit einbringen

An den ersten beiden Bereichen bzw. Umweltzielen wird die technische Arbeitsgruppe noch bis zum Jahresende arbeiten. Alle Finanzmarktakteure haben noch bis zum 13. September 2019 die Möglichkeit, Hinweise und Kritikpunkte zu äußern, indem sie ein Feedback zum Bericht an die EU-Kommission versenden (Hier geht es zum Call for Feedback). Für die weitere Umsetzung der Taxonomie wird im kommenden Jahr eine so genannte Plattform für ein nachhaltiges Finanzwesen geschaffen. Diese würde insbesondere die vier weiteren Umweltbereich- bzw. -ziele der Taxonomie entwickeln. Die EU-Kommission plant im ersten Halbjahr 2020 Konsultationen zu künftigen delegierten Rechtsakten, die die technischen Screening-Kriterien spezifizieren sollen.

Parallel dazu finden derzeit Verhandlungen zwischen Kommission, Parlament und den EU-Staaten zum Taxonomievorschlag der Kommission statt, die so genannten Trilog-Verhandlungen. Angesichts unterschiedlicher Standpunkte zwischen Parlament und Kommission kann es noch zu Anpassungen kommen. Dennoch wird davon ausgegangen, dass die Verhandlungen im zweiten Halbjahr abgeschlossen werden können.


Quelle: EU Taxonomy Technical Report, Seite 18

Wo Anleger*innen hilfreiche Informationen finden

Es ist derzeit nicht einfach, den Überblick zu bewahren. Die offizielle Seite der EU-Kommission zu Sustainable Finance erläutert Hintergründe und bisherige Maßnahmen. Zur besseren Veranschaulichung hat die Kommission ein Factsheet und eine Präsentation entworfen, in denen die wichtigsten Maßnahmen erläutert werden. Die rechtliche Grundlage bildet der Aktionsplan: Finanzierung nachhaltiges Wachstum

Zur näheren Erläuterung der Taxonomie ist online eine Präsentation erhältlich. In ihr finden sich auch die Hinweise auf weitere Dokumente, zum einen den ausführlichen technischen Bericht, der die Methodik und alle Tätigkeiten mitsamt Kriterien eingehend beschreibt, sowie als Praxishilfe einen Leitfaden, wie die Taxonomie anzuwenden ist. CRIC hat darüber hinaus einen Fragenkatalog veröffentlicht, der die wesentlichen Punkte zusammenfasst. Zum aktuellen Taxonomie-Entwurf hat CRIC am 2. September 2019 gemeinsam mit dem FNG, ÖGUT und oekofinanz-21 eine Stellungnahme veröffentlicht, die von der GLS Bank unterstützt wird.


Gesa Vögele ist seit Juli 2017 Mitglied der Geschäftsführung bei CRIC. Zuvor war sie über sieben Jahre beim FNG tätig ­– einem Fachverband für nachhaltige Geldanlagen, der hauptsächlich die Anbieterseite repräsentiert. Zu ihren dortigen Schwerpunkten zählten die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, politisches Lobbying sowie Projekte in den Bereichen Transparenz- und Qualitätssiegel, Weiterbildung und Marktstudien. Vorherige berufliche Stationen von Gesa Vögele umfassen außerdem die Redaktion eines Fachverlages sowie die wissenschaftliche und zuvor studentische Mitarbeit in Forschungseinrichtungen. Bereits zum Ende ihres Studiums befasste sie sich bei einer Nichtregierungsorganisation mit sozial-verantwortlichen bzw. ethisch-nachhaltigen Geldanlagen. Gesa Vögele ist Diplom-Volkswirtin und ausgebildete Fachredakteurin.

CRIC (Corporate Responsibility Interface Center) ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung von Ethik und Nachhaltigkeit bei der Geldanlage und versteht sich gleichermaßen als Informationsplattform und Kompetenzzentrum. Ziel der Aktivitäten von CRIC ist es, ökologischen, sozialen und kulturellen Aspekten in Unternehmen und der Wirtschaft mehr Gewicht zu verleihen. Mit mehr als 100 Mitgliedern vor allem in Deutschland, Österreich und der Schweiz ist CRIC die größte Investorengemeinschaft zur ethisch-nachhaltigen Geldanlage im deutschsprachigen Raum. Die Schwerpunkte der Arbeit liegen in der Bewusstseinsbildung, dem Dialog mit der Wirtschaft (engl. Engagement) und der wissenschaftlichen Begleitforschung. CRIC wurde im Jahr 2000 gegründet. Der Vereinssitz ist Frankfurt am Main. Weitere Informationen: www.cric-online.org.

Stefan Fritz arbeitet als Spezialist Investmentfonds im Angebotsmanagement des Investmentfondsgeschäfts der GLS Bank. Zuvor war er für das französische Researchunternehmen Novethic mit Sitz in Paris tätig, von wo aus er die Entwicklung des europäischen Marktes für nachhaltige Investments begleitete.

Bei der GLS Bank ist Geld für die Menschen da. Die Genossenschaftsbank mit Sitz in Bochum finanziert und investiert nur in sozial-ökologische Unternehmen. Ihre Geschäfte macht sie umfassend transparent. Im Investmentfondsgeschäft bietet sie drei eigene Fonds im Gesamtvolumen von mehr als 400 Mio. Euro sowie zwei Partnerfonds (B.A.U.M. Fair Future Fonds und FairWorldFonds) an. (Stand 31.07.2019)

Weiterführende Informationen

www.gls-fonds.de
investmentfonds@gls.de