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Globales Makroumfeld 2020: Waffenruhe oder Weltuntergang im Handelskonflikt

OpinionsGlobales Makroumfeld 2020: Waffenruhe oder Weltuntergang im Handelskonflikt

Chris Gannatti, Head of Research bei WisdomTree, mit einem “Ausblick auf das globale Makroumfeld” als erste Folge einer Prognosereihe zu unterschiedlichen Assetklassen.

Waffenruhe oder Weltuntergang im Handelskonflikt?

Unser Wirtschaftsausblick für 2020 und darüber hinaus hängt davon ab, ob die USA und China ein Handelsabkommen schließen werden oder nicht. Sollte kein Abkommen erzielt werden, ist es wahrscheinlich, dass die Weltwirtschaft in eine Rezession abrutscht, deren Anfänge sich bereits abzeichnen. Wir berücksichtigen dabei jedoch, dass in den USA 2020 Präsidentschaftswahlen stattfinden werden. Obwohl US-Präsident Donald Trump versucht, seine früheren Wahlversprechen wie u. a. die Senkung des Handelsdefizits umzusetzen, wird er es vermeiden, zu einem so entscheidenden Moment eine wirtschaftliche Rezession herbeizuführen. Voraussichtlich wird er versuchen, ein Abkommen zu schließen, jedoch nicht zu einem allzu frühen Zeitpunkt. Rückt dieser näher an die Wahlen, werden die Wähler ihn als denjenigen in Erinnerung behalten, der die US-Wirtschaft aus der Misere gezogen hat. Diese Strategie beinhaltet aber ein hohes Risiko, denn China verliert langsam die Geduld. So weigert sich das Land beispielsweise anzuerkennen, dass man bei den Verhandlungen die von Trump sogenannte „Phase Eins“ eines Abkommens erreicht habe. Die negativen Konsequenzen einer solch hoch riskanten Vorgehensweise könnten für die Weltwirtschaft katastrophal sein. In einem solchen Fall schließen wir eine weiche Landung aus.

Industrieproduktion, nicht Dienstleistungsbranche, Triebfeder des Abschwungs

Die globale Wirtschaft verlangsamte im vergangenen Jahr, was auf den abnehmenden Handel zurückzuführen ist.  Die Industrieproduktion – der wegen des Rückgangs beim Warenhandel am stärksten betroffene Sektor – ist rückläufig. Die Dienstleistungen in den hoch entwickelten Volkswirtschaften florieren aber weiterhin . Da die meisten hoch entwickelten Volkswirtschaften dienstleistungsorientiert sind, hat sich die sinkende Industrieproduktion noch nicht auf die Arbeitsmärkte ausgewirkt. Aufgrund des anhaltenden Handelskonflikts könnte es jedoch zu Zweitrundeneffekten kommen, die zweifellos auch den Dienstleistungsbereich betreffen werden. 

Der geldpolitische Spielraum ist eingeschränkt…

Die Entscheidungsträger haben bereits Maßnahmen ergriffen, um eine wirtschaftliche Rezession abzuwenden. In den Industrieländern wurde der Großteil dieser Maßnahmen bisher durch Währungsinstitutionen übernommen. Die Federal Reserve (Fed) in den USA begann die Zinsen zu senken, und falls sich die Handelsstreitigkeiten fortsetzen, könnte dies auch so weitergehen. In Japan und großen Teilen Europas befinden sich die Zinsen bereits im negativen Bereich, weshalb man sich dort auf die quantitative Lockerung, das sogenannte „Quantitative Easing“ (QE), und, was wahrscheinlicher ist, auf andere kreative Instrumente verlassen muss, um geldpolitische Impulse zu geben. Die quantitative Lockerung hat das negative Image, für eine Vermögenspreisinflation nicht aber für Preissteigerungen bei Gütern bzw. Dienstleistungen zu sorgen und dementsprechend die Investoren und nicht die Privathaushalte zu begünstigen. Die Chinesische Zentralbank (People’s Bank of China) hat ihre Geldpolitik gleichfalls hinsichtlich Zinsen und Mindestreserveanforderungen gelockert.

 …könnte die Finanzpolitik zur neuen Geldpolitik werden?

Christine Lagarde, die politisch versierte frühere Leiterin des Internationalen Währungsfonds und frühere französische Finanzministerin, trat vor Kurzem ihr Amt als Präsidentin der Europäischen Zentralbank an. Gleichzeitig wurde Ursula von der Leyen, dienstältestes Mitglied in Angela Merkels Kabinett, Präsidentin der Europäischen Kommission. Diese neue personelle Kombination wird in den europäischen Institutionen für frischen Wind und kreative Ansätze sorgen. Da die Europäische Zentralbank (EZB) bereits erklärt hat, dass ihr geldpolitischer Handlungsspielraum eingeschränkt ist und sie sich bei finanzpolitischen Institutionen auf die Erfüllung ihrer Aufgaben verlassen muss, ist es durchaus möglich, dass wir uns auf eine Form der sogenannten „Modern Monetary Theory“ zubewegen. Da sie aufgrund seines hohen Exportanteils unter akutem Handlungsdruck steht, könnte sogar die finanzpolitisch konservative Hochburg Deutschland eine andere Tonart anschlagen. Einige Investoren befürchten, dass dies in den kommenden Jahren zu einer hohen Inflation führen könnte und flüchten sich in altbewährte, sichere Anlagen wie Gold. 

Anteil von Schuldverschreibungen mit negativen Renditen steigt aufgrund sinkender Leitzinsen

Immer mehr globale Anleihen werfen negative Renditen ab. Ja, die Investoren bezahlen die Emittenten sogar dafür, dass sie bei ihnen Geld aufnehmen. Noch 2014 war ein solches Phänomen vollkommen unbekannt, doch bereits im vergangenen Jahr 2019 belaufen sich solche Schuldverschreibungen auf fast 14 Trillionen USD. 

Die Nachfrage nach sicheren Anlagen ist so hoch, dass Investoren negative Endfälligkeitsrenditen in Kauf nehmen. In einem solchen Umfeld werden auch andere sichere Anlagen wie das früher für seinen Mangel an Rendite kritisierte Gold zunehmend interessant.

China fungiert nicht mehr als Stoßdämpfer

Sollten wir uns tatsächlich auf eine weitere Rezession zubewegen – werden dann alle geld- und finanzpolitischen Institutionen in die Vollen gehen? So lockerte China nach der Finanzkrise von 2008 die Geldpolitik und steckte viel Geld in Infrastrukturprojekte. Dies wird am prozentualen Anteil der Bruttoanlageninvestitionen Chinas am BIP deutlich, der 2009 deutlich zunahm, während er in anderen Industrienationen rückläufig war. Das Land erweiterte sein Urbanisierungsprogramm und baute dabei viele neue Straßen und Städte. Davon profitierten sowohl die globalen Rohstoffmärkte als auch die Weltwirtschaft.

Wir bezweifeln, dass sich dies wiederholt, denn China ist diesmal zu hoch verschuldet. Die Reaktion Chinas auf die Konjunkturabschwächung ist bisher aufgrund des widersprüchlichen Wunsches, die Finanzierung zurückzuschrauben, verhalten (vor allem wegen der Schattenbanken, die bei der Verbreitung von Krediten in den letzten zehn Jahren zu erfolgreich waren). 

Kreditvolumen sind die Ansprüche anderer einlagennehmender Unternehmen gegenüber dem privaten Sektor (von IFS), außer im Fall von Brasilien, bei dem das Kreditvolumen an den privaten Sektor durch die Monetary Policy and Financial System Credit Operations festgestellt und von der Banco Central do Brasil veröffentlicht wird, und im Fall von China, wo das Kreditvolumen der gesamten sozialen Finanzierung, bereinigt um die Schulden-Swaps von Lokalbehörden, entspricht.

Die Bereitschaft Chinas, die Rolle des globalen Stoßdämpfers zu übernehmen, hängt nun am seidenen Faden. Nach der großen Finanzkrise blieb das Land bei einer Politik der Währungsaufwertung. Heute lässt China eine Abwertung seiner Währung entsprechend den Fundamentaldaten zu . In der Tat schließen wir nicht aus, dass auch andere Länder eine an rein nationalen Interessen ausgerichtete Politik der Währungsabwertung verfolgen.

Es bestehen Abwärtsrisiken. Doch was geschieht, wenn ein Handelsabkommen bereits frühzeitig erzielt wird?

Wir fokussieren uns auf die Abwärtsrisiken, da die Präsidentschaftswahlen erst am 3. November 2020 stattfinden. Unseres Erachtens könnte die Wirtschaft bis dahin großen Schaden nehmen, wenn der Handelskonflikt bis spät ins Jahr hinein anhält. Sollte ein Handelsabkommen allerdings schon frühzeitig im Jahresverlauf erzielt werden, könnte es zu einer Verlängerung der Rally bei zyklischen Anlagen wie Aktien kommen, was wir über die letzten fünf Jahre hinweg beobachten konnten. Das schon seit einiger Zeit unterbewertete  Öl und auch die Industriemetalle könnten sich erholen. Eine Normalisierung der Geldpolitik könnte wieder auf der Tagesordnung stehen. Die Zentralbanken könnten anstreben, den zuvor verlorenen Handlungsspielraum wieder auszubauen. Es ist jedoch fraglich, ob das internationale Vertrauen je in vollem Umfang wiederhergestellt werden wird. Die Schwellenmärkte, scheinbar häufig Opfer politischer Entscheidungen der USA, könnten zögern, zum Status quo zurückzukehren. Man muss wissen, dass viele Zentralbanken in Schwellenländern ihre Reserven diversifiziert und diese beispielsweise aus dem US-Dollar in Gold umgeschichtet haben. 

Ein Abkommen zwischen den USA und China bedeutet außerdem nicht gleichzeitig den Abschluss eines globalen Abkommens. Nach dem „erfolgreichen“ Abschluss von Handelsabkommen mit Kanada, Mexiko und daraufhin China (falls es zu einem Deal kommen wird), ist es sehr wahrscheinlich, dass sich die USA auf Europa konzentrieren werden. Das Land hat bereits mit der Einführung von Zöllen auf europäische Autoimporte gedroht. Die USA sind der wichtigste Exportmarkt für europäische Autos und machen 29 Prozent des Werts aller aus der EU exportierten Autos aus. US-Unternehmen exportieren im Vergleich dazu nur 19 Prozent ihres auf Autos entfallenden Exportwerts nach Europa. Um die Handelsvolumen zu relativieren, sollte beachtet werden, dass der globale Autohandel 8 Prozent des Welthandels ausmacht, was deutlich über den 3 Prozent liegt, die den Handelsströmen zwischen den USA und China zufallen. Deshalb könnte das globale Tauziehen um den Autohandel viel Schaden anrichten.


Wenn nicht anders angegeben, stammen die Daten ausschließlich von Bloomberg.