Ein Marktkommentar von Martina Schliemann, Geschäftsführerin, Harbourvest: Während sich die Welt auf eine kohlenstoffarme Wirtschaft zubewegt, finanziert privates Kapital zunehmend die Innovationen, die einen Weg zur Erreichung der globalen Dekarbonisierungsziele bereiten.1 Investitionen in die Klima- und Energiewende bieten Investoren Zugang zu einer breiten Palette an Lösungen, die das gesamte Risk-Return-Spektrum abdecken, darunter:
- Erneuerbare Energieerzeugung und Batteriespeicher
- Wasserstoff, Erdgas aus Erneuerbaren und Biokraftstoffe
- Übertragungsinfrastruktur und intelligente Netze (Smart Grids)
- Dienstleistungen und Technologien zur Effizienzsteigerung/Abfallreduzierung
- Infrastruktur für Elektrofahrzeuge (EV)
- Technologien zur Kohlenstoffabscheidung (Carbon Capture)
Die Energiewende entwickelt sich in rasantem Tempo, unter anderem aufgrund der für 2030 angestrebten Ziele zur Treibhausgasreduzierung und des weltweit zunehmenden Drucks auf die Energieversorgung. Investitionen in private Marktsegmente jenseits der traditionellen Infrastruktursektoren, einschließlich Private Equity, Venture Capital und eher wert- und wachstumsorientierter Infrastruktur, bieten privaten Investoren deutliche Chancen für eine langfristige Wertschöpfung und potenzielle Outperformance.
Der Markt für Klima- und Energiewende unter der Lupe
Die globale Abkehr von einer Welt, die von fossilen Energieträgern abhängig ist, und die kontinuierliche Notwendigkeit, die Kohlenstoffemissionen zu reduzieren, schaffen eine enorme Investitionsgelegenheit, die alle Bereiche der Weltwirtschaft umfasst: Energie und Strom, Industrieproduktion und Transport sowie Landwirtschaft.
Das folgende Chart zeigt, dass das Ausmaß und das erwartete Wachstum dieser Marktopportunität beispiellos sind und von derzeit 1,5 Billionen US-Dollar Investitionsvolumen pro Jahr bis 2030 auf 4,5 Billionen US-Dollar anwachsen wird, wenn Unternehmen und Regierungen an der Umsetzung der Net-Zero-Vereinbarungen arbeiten. Mehr als 50 Prozent der Investitionen werden voraussichtlich aus privaten Kapitalquellen stammen, so dass sich für private Investoren weltweit eine jährliche Investitionsmöglichkeit von mehr als 600 Milliarden US-Dollar ergibt.
Neue Wachstumsmotoren beflügeln die Investitionschancen durch die Transition
- Investitionsausgaben im Zusammenhang mit der Energiewende und dem Klima werden sich bis 2030 verdreifachen
- Das größte Wachstum wird in den Bereichen Elektrifizierung, Effizienz, Wasserstoff und Kohlenstoffabscheidung zu verzeichnen sein
- Erweiterung des Spektrums der Investitionsmöglichkeiten über Cleantech 1.0 und Infrastruktur hinaus
Quelle: HarbourVest-Analyse des IEA World Energy Outlook 2021. Basierend auf einer geschätzten Marktgröße unter Verwendung der erforderlichen Investitionen zur Erreichung der Kohlenstoffreduktionsziele (unter der Annahme der Klimaneutralität bis 2050).
Die Energieinfrastruktur umfasst Wind-, Solar-, Geothermie-, Wasserkraft- und Bioenergieanlagen sowie Batteriespeicher und war bisher der größte Investitionsbereich. Während dieses Marktsegment in Bezug auf den absoluten Investitionsbedarf weiterhin von Bedeutung sein wird, beobachten wir, dass Fondsmanager (General Partner, GPs) ein Private-Equity-Wertschöpfungsmodell anwenden und in integrierte Plattformen für erneuerbare Energien investieren – und damit nicht nur auf Asset-Ebene wertschöpfen, sondern auch auf Plattform-Ebene durch Entwicklung, Fusionen und Übernahmen (M&A) sowie operative und Effizienz-Optimierungen. GPs entwickeln neue Geschäftsmodelle und investieren in Fortschrittssegmente wie Batteriespeicher, intelligente Zähler (Smart Metering) und Efficiency-as-a-Service sowie in die Repositionierung älterer fossiler Energiequellen und Energieinfrastrukturunternehmen, um deren Geschäftsmodelle zu dekarbonisieren.
Wir gehen jedoch davon aus, dass das schnellste Wachstum in den stärker aufstrebenden Segmenten der Energiewende stattfinden wird, darunter:
- Wasserstoff – mit Investitionsmöglichkeiten in den Bereichen Upstream-Produktion, Midstream-Verarbeitung und -Speicherung sowie Downstream-Betankung
- Dekarbonisierter Verkehr – einschließlich EV-Infrastruktur und Elektromobilität
- Erneuerbares Erdgas und nachhaltige Kraftstoffe
- Technologien zur Kohlenstoffabscheidung (Carbon Capture)
Wie oben dargestellt, werden sich diese Wachstumstechnologien bis 2030 voraussichtlich versechsfachen (gegenüber einer Verdreifachung für die Transition insgesamt). Die Verschiebung könnte bereits begonnen haben, da allein im zweiten Quartal 2022 mit 882 Millionen US-Dollar für elf verschiedene Transaktionen die bisher höchsten Risikokapitalfinanzierungen und -investitionen in Carbon-Capture-Technologien verzeichnet wurden.2
Das Fondsumfeld boomt und macht sich das Private-Equity-Playbook zu eigen
Mit dem reifenden Markt sehen wir weitgehend einen deutlichen Anstieg der Investitionstätigkeit von generalistischen Infrastruktur-, Private-Equity-, Growth-, Venture-Capital- und Impact-Fonds, die in Klimatechnologie und Energiewende investieren. Auf Asset-Ebene gibt es schlichtweg mehr GPs, die in Transitionsstrategien und integrierte Erneuerbare-Energien-Plattformen investieren, um durch Anwendung eines Private-Equity-Playbooks Werte zu schaffen. Dadurch erweitern sich die Möglichkeiten und das Spektrum der Risk-Return-Profile, die Investoren zur Verfügung stehen, rapide.
Auch bei den auf die Transition spezialisierten GPs ist ein beispielloses Wachstum zu verzeichnen. Die Zahl der spezialisierten Manager ist von nur ein paar Dutzend vor fünf Jahren auf das größte Segment innerhalb der Infrastruktur- und Sachwertebranche angewachsen, mit fast 100 verschiedenen Fondsstrategien, die aktiv Fonds mit einem Gesamtkapital von 100 Milliarden Dollar auflegen oder in diese investieren – und diese Zahl steigt mit der Auflegung neuer Fonds rapide an.3 Das Wachstum wurde weitgehend von drei Hauptgruppen von GP-Profilen angetrieben, darunter:
- Spin-out-Manager von Unternehmen aus dem Energie- und Stromsektor
- Manager aus dem Energiesektor, die ihre Strategien auf die Energiewende ausrichten, und
- Multi-Strategy-Private-Equity- und Infrastruktur-Plattformen, die spezielle Transitionsstrategien vorantreiben.
Dreh- und Angelpunkt des Fortschritts: Erfassung und Meldung von Emissionsdaten
Kennzahlen zur Klima- und Energiewende sind von zentraler Bedeutung für die Messung echter Fortschritte bei der Erreichung von Klimaneutralität und der globalen Klimaziele. Der aktuelle Stand der Dinge zeigt eine kleine, aber wachsende Gruppe fortschrittlicher GP-Ausreißer, wenn es um Klima- und Emissionskennzahlen sowie Reporting geht. Es gibt jedoch noch viel zu tun, insbesondere im Hinblick auf die Analyse von Klimarisiken, die Erhebung von Emissionsdaten und das Benchmarking der Branche. Robustere Daten werden es den Anlegern ermöglichen, sich in einem breiteren Spektrum von Möglichkeiten zu engagieren, die mit Emissions- oder Klimazielen verbunden sind, einschließlich kohlenstoffintensiverer Sektoren, in denen das größte Impact-Potenzial durch Reduktions- und Substitutionsstrategien besteht.
Bislang haben die Fonds mit dem größten Fundraising-Erfolg im Transitionssegment in der Regel solide ESG-Praktiken und eine klare Darstellung klimabezogener Messungen, einschließlich der Fähigkeit, diese KPIs zu verfolgen und zu reporten – insbesondere Scope-1- und Scope-2-Emissionen, Scope-3-Emissionen (in der Regel geschätzt) und Berechnungen zu vermiedenen Emissionen.4 Da sich die ESG-Ansätze schnell weiterentwickeln, werden die anspruchsvollsten Investoren je nach ihrer Anlagestrategie eine Reihe von Transitionsansätzen wählen: Ausstieg aus oder Dekarbonisierung von stark emittierenden Assets, Berücksichtigung physischer Klimarisikofaktoren, Festlegung von Zielen für die Kohlenstoffreduzierung bis hin zur Klimaneutralität und Investitionen in die mit der Transition verbundenen Opportunitäten.
Aus Portfolio-Perspektive befindet sich das Reporting über konkrete KPIs für Private Markets noch in der Anfangsphase, wobei sich die Messgrößen weitgehend auf die vermiedenen, reduzierten oder gebundenen Treibhausgase konzentrieren. Wir erwarten, dass sich diese Praxis unter den Top-Fondsmanagern relativ schnell durchsetzen wird, wobei sich die Messgrößen zu gegebener Zeit auch auf die Emissionsintensität und die Ausrichtung des Portfolios an wissenschaftlich fundierten Zielen ausdehnen werden.
Investitionsverlagerungen in einem fragmentierten Klimamarkt
Während eine “geordnete” Transition sowohl von den globalen Finanzinstituten als auch von der Gesellschaft als bestes Szenario angesehen wird, wurde 2022 immer deutlicher, dass der Weg zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft nicht linear verlaufen wird. Das Weltwirtschaftsforum hat in seiner „2021/2022 Global Risks Perception Survey“ (Umfrage zur Wahrnehmung globaler Risiken) festgestellt, dass Untätigkeit in Bezug auf den Klimawandel für mehr als 1.000 befragte globale Führungskräfte und Experten die größte Sorge für die nächsten zehn Jahre darstellt.5 Wenn es jedoch darum geht, wie Staats- und Regierungschefs und Finanzinstitute gegen diese Risiken vorgehen, herrscht weniger Klarheit. Auf der COP27 wurde beispielsweise ein neuer Fonds für Schäden und Verluste angekündigt, aber es wurden nur sehr wenige Einzelheiten über die Struktur, den Umfang, die Beitragszahler und die Begünstigten des Fonds vereinbart.
In den USA bildet sich ein fragmentierter Markt heraus; der „Inflation Reduction Act“ sorgte für klimabezogenen Rückenwind, die Börsenaufsicht SEC hat einen behördenübergreifenden Ansatz für Klimarisiken und Opportunitäten zusammengeführt, und die US-amerikanische Bundesregierung hat Schritte zur Entwicklung eines zentralisierten Kohlenstoffmarktes durch öffentlich-private Partnerschaften (PPPs) unternommen. Dies wiederum hat einige Investoren dazu veranlasst, zu hinterfragen, ob klimabezogene Maßnahmen mit treuhänderischen Pflichten vereinbar sind. Auf globaler Ebene hat der Russland-Ukraine-Konflikt zu volatilen Energiepreisen geführt, was in einigen Fällen zur Folge hatte, dass Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren wieder wirtschaftlicher waren als Elektroautos, sowie zu grundlegenden Debatten über Energiesicherheit und gegenseitige Abhängigkeiten.
Diese Beispiele verdeutlichen die Realität der Energiewende – die oft zu Unstimmigkeiten führt und Kompromisse erfordert. Aus der Sicht eines Investors hat der Markt für Energiewende und Klimaschutz jedoch bereits Wurzeln geschlagen und wird weiterwachsen. Dies kann zu Investitionsverlagerungen führen, und GPs, die diesen Markt frühzeitig verstehen, können von einer einzigartigen Marktabdeckung und Underwriting-Möglichkeiten zur Bewertung nicht realisierter Portfolios profitieren. In Anbetracht des breiten Spektrums an Themen, die mit der breiten Transition einhergehen, sind wir der Ansicht, dass ein ausgeklügelter Transaktionsansatz, der Co-Investitionen, maßgeschneiderte GP-geführte Sekundärtransaktionen und primäre Fondsengagements umfasst, einen Wettbewerbsvorteil darstellt, da er einen flexiblen Ansatz für diesen Markt bietet.
Wenn sich die Transition weiter etabliert, die Innovation zunimmt und mehr Kapital eingesetzt wird, ist es wahrscheinlich, dass sich die Marktteilnehmer zu gemeinsamen Themen und Ansätzen zusammenfinden werden. Bis dahin gibt es auf diesem aufstrebenden Markt noch signifikantes Aufwärtspotenzial zu heben.
1 Das Pariser Abkommen wurde von 196 Parteien auf der COP 21 am 12. Dezember 2015 angenommen und trat am 4. November 2016 in Kraft. Sein Ziel ist es, die globale Erwärmung auf 1,5 °C im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Der Sechste Sachstandsbericht des IPCC zum Klimawandel 2022 warnt, dass die nächsten Jahre entscheidend sind: Um die Erwärmung auf etwa 1,5 °C zu begrenzen, müssen die globalen Treibhausgasemissionen spätestens 2025 ihren Höhepunkt erreichen und bis 2030 halbiert werden. Dies erfordert Dringlichkeit und eine verstärkte globale Zusammenarbeit von Regierungen, politischen Entscheidungsträgern, Investoren, Industrie und Verbrauchern.
2 PitchBook, “Post combustion carbon removal”, 15.9.2022.
3 HarbourVest, Stand der Daten: 30.9.2022.
4 Quelle: HarbourVest; Scope-1-Emissionen sind direkte Emissionen aus Quellen, die direkt dem Unternehmen/Asset gehören oder von ihm kontrolliert werden. Scope-2-Emissionen sind indirekte Emissionen aus zugekaufter Energie (z. B. Heizung oder Kühlung). Scope-3-Emissionen sind alle indirekten Emissionen, die in der Wertschöpfungskette eines berichtenden Unternehmens/Assets entstehen. Scope-3-Emissionen werden größtenteils auf freiwilliger Basis gemeldet und können je nach den verwendeten Annahmen mit Schätzdaten berechnet werden, die ein hohes Maß an Qualität/Konservativität aufweisen. Scope-3-Emissionen sind jedoch wichtig, wenn es um den Gesamteinfluss geht, den ein Unternehmen auf die Transition haben kann, und machen in der Regel den größten Anteil an den Gesamtemissionen aus.
5 World Economic Forum, The Global Risks Report 2022, 17. Ausgabe.