Wednesday 24-Apr-2024
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Konjunkturerholung in Europa verliert an Schwung

OpinionsKonjunkturerholung in Europa verliert an Schwung

von Aneeka Gupta, Associate Director Research bei WisdomTree.

Die europäischen Aktienmärkte leiden unter dem Zusammenfluss externer und interner Schwierigkeiten, globale Spannungen im Handel, die Konjunkturabschwächung in der chinesischen Wirtschaft, strukturelle Veränderungen in der Automobilindustrie und die andauernde Unsicherheit um den Brexit. Seit 2013 schneiden die europäischen Aktienmärkte schlechter ab als die US-Aktienmärkte, wobei der Abstand seit 2000 am größten ist. Value-Aktien spielen im Vergleich zu den USA in Europa eine größere Rolle, während Wachstumsaktien in den USA einen höheren Anteil haben. Seit der großen Finanzkrise haben Wachstumsaktien Value-Aktien deutlich überholt, was ebenfalls der mangelnden Wertentwicklung in Europa zuzuschreiben ist. Die europäische Gemeinschaftswährung wird gegenüber dem US Dollar derzeit auf dem niedrigsten Stand seit Mai 2017 gehandelt, doch für europäische Exporteure hat sich daraus bisher kein Wettbewerbsvorteil ergeben. In den ersten zehn Monaten des Jahres 2019 flossen Mittel im Wert von 8,1 Mrd. US Dollar aus Exchange Traded Funds (ETFs) für in der Eurozone angesiedelten Aktien ab, was den starken Pessimismus gegenüber europäischen Aktien untermauert. Aufgrund des verhaltenen Ausblicks sind defensive Sektoren der europäischen Wirtschaft im Vergleich zu zyklischen Sektoren überlaufen. Europa kann nur dann ein Trendwende schaffen, wenn es zu einer Kombination aus Fortschritten in den Verhandlungen beim Welthandel, einer Erholung bei Value Aktien und sinnvollen finanzpolitischen Impulsen kommt.

Schwäche in der Industrie zieht auch Dienstleistungssektor nach unten

Bei der Verschlechterung der europäischen Wirtschaftsdaten zeichnet sich kein Ende ab. Der Einkaufsmanagerindex Flash Eurozone Manufacturing Purchasing Managers Index (PMI) fiel mit einem Wert von 45,6 im September auf seinen schlechtesten Stand seit fast sieben Jahren, ein Rückgang von 47 Punkten gegenüber August. Die Schwäche war auch im Dienstleistungssektor zu beobachten, wo der Flash Eurozone Services PMI ein achtmonatiges Tief erreichte. Dies ist ein besorgniserregendes Anzeichen. Abschwünge werden häufig zuerst im Industriesektor entdeckt und dann an den Dienstleistungssektor weitergegeben, da die Industrie tendenziell schneller auf sich verändernde Nachfragebedingungen reagiert. Ein weiteres Anzeichen dafür, dass sich die Schwäche auf die Inlandsnachfrage auswirkt, war ein weiterer Rückgang in der Beschäftigungskomponente des Composite PMI auf ein Niveau, das mit stagnierender Beschäftigung und einer leicht steigenden Arbeitslosigkeit einhergeht.

Europas Nachzügler Deutschland

Deutschland, Europas größte Volkswirtschaft, war von dem durch die Handelskonflikte und den Abschwung in China am stärksten betroffen, da der Export 47 Prozent am BIP ausmacht. Dies wurde anhand des aktuellen Rückgangs beim Industrie-PMI von 43,1 auf 41,4 im September offensichtlich, dem schlechtesten Stand seit mehr als zehn Jahren. Deutschland hat einen großen Anteil an der Autoproduktion. Die Einführung neuer Emissionstests durch die EU trugen ebenfalls zum Verlust des Momentums in der Branche bei. Die Tatsache, dass Deutschland über eine Supply Chain verfügt, die den Kontinent umspannt und 29 Prozent des BIP der Eurozone ausmacht, lässt die Wahrscheinlichkeit steigen, dass auch andere westeuropäische Volkswirtschaften die negativen Folgen einer Rezession in Deutschland zu spüren bekommen würden. Zu allem Übel hat die Welthandelsorganisation (WTO) die USA zur Erhebung von Zöllen auf europäische Luftfahrt- und Luxusgüter im Wert von fast 7,5 Mrd. US Dollar ermächtigt, da dem europäischen Flugzeughersteller Airbus SE illegale staatliche Zuschüsse bereitgestellt worden waren. Sollte die Trump-Regierung die Zölle einfordern, ist es wahrscheinlich, dass dies Vergeltungsmaßnahmen durch die EU nach sich ziehen und den Handelskonflikt zwischen den beiden Nationen weiter vertiefen würde. Am 20. September gab die Bundesregierung ein Klimapaket im Wert von 54 Mrd. Euro bekannt, das auf die Erreichung des Emissionsziels 2030 abzielen soll. Den Erwartungen nach soll dieses Paket aus vorhandenen Überschüssen im Energie- und Klimafonds finanziert werden, was einen geringfügigen finanziellen Impuls von netto weniger als 1,6 Prozent des BIP beinhaltet.

Geld- und Finanzpolitik müssen Hand in Hand gehen

Am 12. September legte die EZB ein umfangreiches Lockerungspaket mit folgendem Inhalt auf: Senkung des Einlagenzinssatzes um 10 Basispunkte, Neuauflage von Nettokäufen im Rahmen ihres Wertpapierkaufprogramms (Asset Purchase Programme; APP) mit monatlich 20 Mrd. Euro, großzügigere gezielte längerfristige Refinanzierungsgeschäfte (TLTRO III) und Einführung eines zweistufigen Einlagenzinssatzes zur Abmilderung der Kosten aus negativen Zinsen für Banken. Die Probleme in Europa lassen sich jedoch nicht allein durch Geldpolitik lösen. Das Hauptproblem in Europa ist nicht ein mangelnder Zugang zu Kapital für Unternehmen oder hohe Kapitalkosten, sondern eine mangelnde externe und interne Nachfrage. Aufgrund externer Erschütterungen wie Handelsstreitigkeiten, Brexit und Konjunkturschwäche in China sind die Nachfragebedingungen weiterhin schlecht. Deshalb muss in Europa bei der Finanzpolitik, die strenger ist als nötig, mehr getan werden, um die internen Nachfragebedingungen zu stärken. Der frühere EZB-Präsident Mario Draghi brachte diese Gedanken auch bei seiner letzten EZB-Pressekonferenz zum Ausdruck. Hierbei betonte er, dass die Finanzpolitik nun den Staffelstab von der geldpolitischen Lockerung übernehmen müsse, denn es sei unwahrscheinlich, dass die Wachstums- und Inflationsziele ohne die Rolle der Finanzpolitik erreicht werden könnten. Der aktuelle mehrjährige Finanzierungsrahmen deckt die Jahre 2014–2020 ab und umfasst 1.087 Mrd. Euro bzw. 1 Prozent des BIP der EU.

Die Vorbereitungen für den neuen Haushalt der Europäischen Union (EU) für 2021–2027 sind bereits in vollem Gange. Ein neuer mehrjähriger Finanzierungsrahmen für den Zeitraum 2021–2027 wurde von der Europäischen Kommission (EK) vorgeschlagen und zielt auf ein Budget von ungefähr 1,3 Trillionen Euro ab, das sich auf ein breites Spektrum unterschiedlicher politischer Prioritäten der Europäischen Union verteilt. Der neu vorgeschlagene mehrjährige Finanzierungsrahmen soll die soziale Dimension der Union stärken. Für nächstes Jahr wird die Europäische Kommission die Umsetzung der Programme fortsetzen, die im mehrjährigen Finanzierungsrahmen 2014–2020 genehmigt wurden, während sie die Annahme des vorgeschlagenen mehrjährigen Finanzierungsrahmens 2021–2027 voranbringt.

Bewertungen weiterhin zugunsten Europas

Europäische Bewertungen werden gegenüber denjenigen für die USA historisch gesehen mit einem Abschlag gehandelt. Laut des konjunkturbereinigten Kurs-Gewinn-Verhältnisses (CAPE) werden europäische Aktien (CAPE von 18,35) im Vergleich zu US-Aktien (CAPE von 20,54) mit einem Abschlag von 10,6 Prozent gehandelt. Historisch gesehen haben europäische Unternehmen außerdem einen höheren Gewinnanteil an die Aktionäre in Form von Dividenden ausgeschüttet als in den USA. Höhere Dividendenrenditen in Europa von 3,71 Prozent, verglichen mit 1,9 Prozent bei US-Aktien, verbessern den Investment Case für europäische Aktien, vor allem in einer Zeit, in der globale Schuldverschreibungen im Wert von fast 14 Trillionen USD negativ verzinst werden.

Überhöhtes Interesse in bestimmten Segmenten des europäischen Markts

Der verhaltene Ausblick der Investoren hat zu einem überhöhten Interesse in bestimmten Segmenten des europäischen Markts geführt, nämlich bei Wachstums-, Large-Cap- und international exponierten Aktien. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von Value- im Vergleich zu Wachstumsaktien ist so niedrig wie seit 2005 nicht mehr.

Obwohl europäische Small-Cap-Aktien eine Prämie von 6 Prozent auf die Dividendenrendite bieten, werden sie im Vergleich zum langfristigen Durchschnitt gegenüber Large-Cap-Aktien auf KGVBasis mit einem Abschlag von 5 Prozent gehandelt. International exponierte europäische Aktien schneiden seit 2007 um 44 Prozent besser ab als ihre inländischen Pendants.


Soweit nichts anderes angegeben, stammen die Daten von Bloomberg.