Mit dem intensiveren Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) bricht ein neues Zeitalter in der Arzneimittelentwicklung an. Das Zusammenspiel von neuer Technologie und Biotechnologie hat potenziell erhebliche Auswirkungen auf die Pharmabranche, schreibt Brice Prunas, Portfoliomanager des ODDO BHF Artificial Intelligence, in einem aktuellen Marktkommentar.
Drei Anwendungsbereiche für KI
Das lasse sich aktuell in drei Segmenten beobachten: Zum einen in experimentelle Techniken im Labor wie z.B. der Sequenzierung der Gene einer Zelle, zum anderen in der Analyse von Daten aus dem menschlichen Körper, z.B. Daten zur Proteinstruktur oder Molekulargenetik. Ein weiteres wichtiges Feld tut sich bei Analyse-Techniken und -Tools auf: „Hierbei geht es um die Ausschöpfung der enormen Datenmengen, die aus den genannten Bereichen stammen und öffentlich zugänglich sind bzw. sein werden“, erläutert Prunas. „Künstliche Intelligenz bietet den zentralen Vorteil, große Mengen heterogener und unstrukturierter Daten auf Korrelationen hin zu analysieren. In der Pharmaindustrie gibt es eine Fülle solcher Daten.“ Er verweist unter anderem die Ergebnisse zahlreicher klinischer Tests und Untersuchungen, welche von unterschiedlichen Institutionen wie Pharmaunternehmen, Krankenhäusern, Laboren usw. an Patientengruppen mit unterschiedlicher Zusammensetzung und Medikamentendosierung durchgeführt werden.
Wegbereiter für Präzisionsmedizin
Die Kombination aus Technologie und BioTech ebne der Präzisionsmedizin, wie sie bereits im Bereich der Onkologie praktiziert wird, den Weg. In Zukunft ist Brice Prunas zufolge auch eine Ausweitung auf Autoimmunkrankheiten wie z.B. Lupus zu erwarten. Die Präzisionsmedizin stützt sich dabei insbesondere auf die Analyse großer Datenmengen, um die verschiedenen, molekularen und proteinbasierten, Determinanten einer bestimmten Krankheit besser zu verstehen und entsprechend zu isolieren.
Zahl der maßgeblichen Akteure ist überschaubar
Zum jetzigen Zeitpunkt sieht der Experte von ODDO BHF AM verschiedene maßgebliche Akteure: Google*, die Top 10 der weltweiten Pharmaunternehmen, die Top 10 der US-Biopharmaunternehmen sowie Unternehmen, die wie Benevolent AI in Europa sowie Recursion, Relay oder Schrodinger in den USA speziell für den Einsatz von KI für die Medikamentenentwicklung gegründet wurden. Google profitiert Prunas zufolge vom “first mover advantage”. Der Konzern hatte 2014 in Großbritannien DeepMind übernommen, das eine Vorhersage der Struktur von Proteinen anhand ihrer Aminosäuresequenzen ermöglicht, und 2017 die Studie „Baseline” gestartet, in deren Rahmen eine Kohorte von 10.000 Freiwilligen rekrutiert und überwacht wird. KI dient hier dazu, alle genetischen, medizinischen und verhaltensbezogenen Informationen zu sammeln, um mögliche Krankheiten frühzeitig zu erkennen.
Big Pharma und US Biotech
Die zehn größten Pharmaunternehmen der Welt haben allesamt strategische Übernahmen von Start-ups im KI-Bereich getätigt. Anschließend wurden diese „digitalen” Goldstücke in die internen, seit Jahrzehnten analog ablaufenden F&E-Prozesse integriert. „Mit Blick auf die großen kulturellen und operativen Unterschiede dieser Übernahmen überrascht es kaum, dass die Integration mit sehr unterschiedlichem Erfolg verlief,“ schreibt Prunas. Unternehmen aus den Top 10 der US-Biopharmabranche wie Amgen, Regeneron oder Vertex Pharmaceuticals haben die Vorteile des innovativen Zusammenspiels aus der KI-Technologie und BioTech erkannt. „Amgen hat beispielsweise das Programm „BioNext” ins Leben gerufen, das es ermöglicht, mithilfe generativer KI aus einem Universum von über 100.000 Varianten gezielt die gewünschten Antikörper zu entwickeln und damit die Entwicklungszeit für entsprechende neue Medikamente um mehr als die Hälfte zu verkürzen,“ erläutert der Investmentexperte.
Markt sortiert sich neu
„Noch aber konkurrieren verschiedene Akteure um diesen bedeutsamen Markt. Am Ende dieses Wettbewerbs könnten wie seinerzeit in den 1990er bei den Internetsuchmaschinen einige wenige Gewinner und viele Verlierer stehen“, so Prunas. Damals war der Markt durch den massiven Wettbewerb insbesondere zwischen Google, MSN, Netscape und Yahoo geprägt, aus dem schließlich Google als Quasi-Monopolist hervorging. „Künstliche Intelligenz wird zu einer ähnlichen Entwicklung im Bereich der Arzneimittel beitragen“, ist Prunas überzeugt.
*Keines der vorstehend genannten Unternehmen stellt eine Anlageempfehlung dar.