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„Künstliche Intelligenz im Portfolio-Management“

Opinions„Künstliche Intelligenz im Portfolio-Management“

„Wir glauben daran, dass die technische und fundamentale Analyse zukünftig um den Baustein der Künstlichen Intelligenz ergänzt werden muss“, betont Dr. Sven Schmeier, Leiter des Portfoliomanagements bei Wealthgate. Künstliche Intelligenz, Machine Learning, Data Mining und Text Mining würden für deutlich genauere Prognosen an den Kapitalmärkten sorgen und höhere Renditechancen bei gleichzeitig deutlich reduziertem Risiko eröffnen, so der Referent des 176. Hedgeworks im Interview.

HEDGEWORK: Herr Schmeier, Sie sind seit vielen Jahren mit dem Thema Künstliche Intelligenz befasst und betonen immer wieder, wie wichtig der Einsatz von KI im Portfolio-Management sei. Weshalb ist das so?

Sven Schmeier: Wir haben in den letzten Jahrzehnten einen zunehmenden Wandel hin zu automatisiertem Handel beobachten können. So hat sich zum Beispiel der automatisierte Handel an der Eurex bereits in den Jahren 2004 bis 2006 vervierfacht und bis dato einen Umsatz von etwa 30 Prozent erreicht (Quelle: Wikipedia). Je nach Grad der Automatisierung werden mittlerweile Orders vollständig ohne menschliches Eingreifen getätigt. Die Funktionsweise, also die automatische Generierung von Kauf- und Verkaufssignalen, basiert meist auf der Analyse von historischen Marktdaten und der Aggregation von Real-time-Kursen. Das funktioniert insgesamt zufriedenstellend – im Normalfall – und versagt in unerwarteten Situationen. Nicht zuletzt ist diese Art von automatisiertem Handel mitverantwortlich für die rasante Talfahrt der Börsen innerhalb der ersten Tage der Corona-Krise. Hier wurde viel Geld vernichtet, allein aus dem Grund, dass alle diese Verfahren ähnlich funktionieren und sich entsprechende Sog-Effekte exponentiell verstärken. Insofern müssen zur künftigen Vermeidung von selbstverstärkenden Effekten intelligentere Verfahren eingesetzt werden, die aus der Eingleisigkeit auszubrechen vermögen. Der Einsatz von Verfahren der Künstlichen Intelligenz ist in der Lage, die benötigten zusätzliche Dimensionen zu erzeugen und die gewünschte und benötigte Robustheit zu garantieren. Das hat unser Globallytics Fund No. 1 eindrucksvoll bewiesen.

HEDGEWORK: Damit stellt sich die Frage, wie konkret KI eingesetzt werden kann?

Sven Schmeier: Es gibt hier verschiedene Ansatz- und Einsatzgebiete für Künstliche Intelligenz. Sie kann zur Gefahrenvermeidung eingesetzt werden, indem wir Modelle trainieren, die speziell in Krisenzeiten einen kühlen Kopf bewahren. Wir können intelligente Bewertungsmethoden einsetzen, die weg von starren Algorithmen und hin zu flexiblen situationsadaptiven Entscheidungen führen. Aufgrund der Flexibilität, speziell von KI-Verfahren aus dem Maschinellen Lernen, können wir wesentlich mehr Daten – sogar Daten, die vermeintlich überhaupt nichts mit Wirtschaft oder Börse zu tun haben – benutzen, sie aggregieren und Informationen extrahieren, um somit Wissen zu schaffen, das dann wiederum die entsprechenden Triggerpoints generiert. 

Gerade die Entwicklungen innerhalb der Forschung und Wissenschaft hin zu sich selbsterklärenden Verfahren lassen auf eine weitere Akzeptanz und den Einsatz solcher Systeme hoffen, die den Menschen mit einbeziehen und ein quasi hybrides Portfoliomanagement schaffen können. Der Computer arbeitet autonom, bis er feststellt, dass Situationen auftreten, die er selbst nicht entscheiden kann. Der Mensch wird dann informiert, der Computer beschreibt die Situation und macht eventuell sogar Lösungsvorschläge, die der Mensch dann abwägt und entscheidet, oder der Mensch macht seinerseits Vorschläge, die vom Computer wiederum in das gelernte Modell eingearbeitet werden können. Das wäre für mich das Szenario der Zukunft.

HEDGEWORK: Sie haben sicher die Auswirkungen von KI auf Portfolios getestet. Was können Sie darüber berichten?

Sven Schmeier: Wir haben einige Auswirkungen speziell unserer KI analysiert und testen sie ständig im laufenden Betrieb. Wie schon viele vor uns haben wir natürlich verschiedene Methoden bzw. publizierte Artikel studiert. Wir haben Methoden evaluiert, die wie bereits erwähnt auf historischen und aktuellen Kursverläufen basieren. Wir haben uns den Problematiken und Lösungen von KI-Verfahren der sogenannten Sentiment-Analyse gewidmet, die derzeit von verschiedenen Anbietern genutzt werden. Hier werden Stimmungen vor allem in den Social Media analysiert und genutzt, um kursbezogene Prognosen zu erstellen. Natürlich haben wir Fundamentalanalysen bzw. deren mögliche Automatisierung beobachtet und sogar teilweise implementiert. Insbesondere haben wir uns auf Methoden konzentriert, die aus dem Natural Language Processing stammen, also aus der automatischen KI-basierten Verarbeitung der natürlichen Sprache. Hier extrahieren wir insbesondere relevante Informationen – die Relevanz wird hierbei von der KI bewertet, nicht vom Menschen – und fügen sie einer weiteren Verarbeitungsstufe zu. Insgesamt aggregieren und konsolidieren wir Informationen aus vielen verschiedenen Quellen und treffen dann Kauf- und Verkaufsentscheidungen auf Basis von Modellen, die aus dem Bereich des Maschinellen Lernen stammen.

HEDGEWORK: Inzwischen gibt es bereits etliche Portfoliomanager, die von sich sagen, KI einzusetzen. Wie können Investoren die Ansätze unterscheiden?

Sven Schmeier: Die Ansätze kann man grob in die oben erwähnten Klassen unterscheiden: Historische und aktuelle Kurse, Fundamentalanalyse, Sentiment-Analyse, Natural Language Processing und eine irgendwie geartete Klassifikation in „Kauf oder Nicht-Kauf“. Viele Anbieter benutzen auch Begriffe wie Big-Data-Analyse oder generell Big Data. Das beschreibt allerdings im Wesentlichen, dass sie sehr viele Daten sammeln, und dann mit den genannten Methoden weiterarbeiten. Hier noch ein kleiner Hinweis: Selten sagt die reine Quantität von Daten zur Entscheidungsfindung etwas aus, die Qualität ist entscheidend. Und natürlich die Güte der Verfahren bzw. der Modelle, die sie benutzen. Gerade das Beispiel Sentiment-Analyse, also das Erfassen von Stimmungen in einer Nachricht, ist für den Menschen häufig sehr leicht, für den Computer hingegen sehr schwer. Beispielsweise der Satz: „Na das ist aber jetzt ganz toll“ wird vom Computer häufig ganz anders bewertet als vom Menschen. 

HEDGEWORK: Lassen Sie uns doch ein wenig tiefer in Ihre Strategie hineinschauen. Wie groß ist das Aktienuniversum, das Sie regelmäßig screenen? 

Sven Schmeier: Unser Aktienuniversum umfasst derzeit rund 1500 Titel. Der Fokus liegt dabei auf Europa, Nordamerika und Japan, wobei wir auch darauf achten, dass bei unseren Titeln ein entsprechendes Handelsvolumen vorhanden ist. Einerseits wollen wir mit unseren Käufen und Verkäufen die Kurse nicht zu stark beeinflussen und andererseits arbeiten wir nicht mit Limits, da wir die Liquidität sofort wieder reinvestieren.

HEDGEWORK: Und wie lange dauert das? 

Sven Schmeier: Um die besten Ergebnisse zu erzielen, hat die Aktualität sowie Qualität der Nachrichten die höchste Priorität und natürlich eine sehr kurze Bearbeitungszeit der KI. Darum ist die Programmierung der KI sehr schlank und effizient. Das betrifft auch die Trainingszeiten. Die tägliche Verarbeitung läuft rund 30 Minuten und berücksichtigt hierbei alle erfassten und relevanten Nachrichten zu potenziellen Titeln aus unserem Anlageuniversum.

HEDGEWORK: Wie viele Aktien finden am Ende den Weg ins Portfolio?

Sven Schmeier: Unsere aktuelle Obergrenze beträgt 33 Titel, welche jeweils mit 3 Prozent des Fondsvermögens gewichtet werden. Eine individuelle Gewichtung pro Titel findet nicht statt. Allerdings können einzelne Titel aufgrund ihrer Performance kurzfristig über- oder untergewichtet sein.

HEDGEWORK: Wie lange ist bei Ihren Investments die durchschnittliche Haltedauer?

Sven Schmeier: Die durchschnittliche Haltedauer beträgt derzeit 10 Tage. Das kann allerdings variieren, sobald es starke Signale für eine kürzere oder längere Haltedauer gibt. Unsere KI bewertet natürlich auch weiterhin Daten bezüglich der Titel im Portfolio, die KI-Modelle sind für verschiedene Entscheidungsaspekte optimiert.

HEDGEWORK: Arbeiten Sie dabei auch mit Derivaten?

Sven Schmeier: Bisher arbeiten wir nicht mit Derivaten. Allerdings sind wir derzeit in der Diskussion darüber, ob uns Derivate als Absicherungsinstrumente dienen können. So hat uns beispielsweise der schwache US-Dollar in den letzten Wochen einige Performancepunkte gekostet. Für uns gilt: falls Derivate zum Einsatz kommen, dann nur als reines Absicherungsinstrument.

HEDGEWORK: Wie können Sie bei diesem doch recht hohen Turnover die Kosten im Griff behalten?

Sven Schmeier: Das ist eine Frage, die uns auch lange beschäftigt hat und die natürlich essentiell ist. Daran sind ja in der Vergangenheit schon andere innovative Fonds gescheitert. An erster Stelle benötigen wir dazu die richtigen Partner, die unsere Orders mit hoher Qualität und zu guten Konditionen abwickeln. Diesen Dienstleister haben wir glücklicherweise gefunden. Als Zweites ist es wichtig, das Fondsvolumen weiter zu steigern, damit sich die Fixkosten pro Order relativieren. Zudem sind es stetige Optimierungen, die uns an dieser Stelle voranbringen. Es könnte zum Beispiel sein, dass wir einen Titel aufgrund seiner maximalen Haltedauer verkaufen – dieser jedoch am selben Tag erneut zum Kauf empfohlen wird. Mittlerweile prüft die KI solche Fälle selbstständig und verlängert dann entsprechend die Haltedauer des Titels. Damit sparen wir uns unnötige Transaktionskosten.

HEDGEWORK: Bestehen in Ihrem Portfolio Sicherheitsmechanismen, um große Kursverluste wie etwa durch Corona vermeiden zu können?

Sven Schmeier: Zum Start vor knapp einem Jahr war unser Ziel, eine Outperformance durch die richtige Auswahl an Titeln mit Hilfe unserer KI zu generieren. Aufgrund der derzeitigen Sondersituation bedarf es aus Risikogesichtspunkten einer zusätzlichen manuellen Liquiditätssteuerung. Unser Plan ist es jedoch, auch diese Aufgabe kurz- bis mittelfristig an die KI zu übergeben. Die ersten Ideen hierzu sind bereits entwickelt und durchlaufen derzeit ein sehr vielversprechendes Backtesting.

HEDGEWORK: Und wie schützen Sie sich davor, dass Informationen falsch ausgewertet werden und falsche Kaufsignale erzeugen könnten? 

Sven Schmeier: Hier müssen wir zwei Fälle unterscheiden – Kaufsignale, die aufgrund falscher Meldungen erzeugt werden und solche, die aufgrund der fehlerhaften Einschätzung durch die KI getroffen werden. Zur Vorbeugung falscher Informationen nutzen wir unterschiedliche Nachrichtenportale und setzen hier auf Redundanz – in der Hoffnung, dass nicht alle von derselben Quelle abgeschrieben haben. Somit wird die Analyse nicht von einzelnen, abweichenden Meinungen verfälscht, sondern die Gesamtstimmung betrachtet. Was die KI betrifft, so evaluieren wir ständig die aktuelle Performanz der trainierten Modelle. Das passiert, indem wir die Ergebnisse unserer Orders in der Rückschau mit den zugrundeliegenden Nachrichten vergleichen und evaluieren. Hierdurch können wir aktiv die Schwellenwerte der Konfidenzen getroffener Entscheidungen kontrollieren und verändern. Einfach gesprochen heißt das: Wir prüfen ständig, wann wir der KI vertrauen wollen und können und wann nicht – das basiert auf mathematischen Erklärbarkeitskomponenten, die ebenfalls Teil der KI sind. Grundsätzlich unterliegt die KI damit einem ständigen Lern- sowie Optimierungsprozess.

HEDGEWORK: Welche Kennzahlen und Faktoren kommen bei Ihrer Strategie zum Einsatz? 

Sven Schmeier: Die KI liefert die Grundlage für die Anlageentscheidung durch das Analysieren der Nachrichten. Eine weitere Qualitätsstufe, die bereits vollautomatisch durch die KI abläuft, ist die Prüfung der Titel auf ihre Qualität. Dazu haben wir ein eigenes Scoringmodell entwickelt. Neben der Profitabilität spielen beispielsweise auch das Umsatzwachstum oder die Verschuldungsquote eine Rolle. Unser Portfolio besteht somit durchgehend aus Aktien, welche ein positives Momentum sowie eine Mindestqualität an Fundamentaldaten aufweisen. 

HEDGEWORK: Welche Rolle spielt bei Ihrer Strategie generell der Faktor Mensch noch?

Sven Schmeier: Bei dem eigentlichen Portfoliomanagement wird die Rolle des Menschen beim Globallytics Fund No. 1 immer geringer. Grundsätzlich sind wir mit der Performance schon sehr zufrieden, da wir vor allem im Year-to-Date-Vergleich eine Outperformance gegenüber allen wichtigen Indizes aufweisen können. Jedoch ist es unser Anspruch, die KI stetig weiterzuentwickeln und zu optimieren. Und deshalb spielt der Mensch quasi hinter den Kulissen eine sehr große Rolle – das sind dann aber eher die Experten für KI und Programmierung, die sich von den Finanzexperten nur mehr beraten lassen. Das Tagesgeschäft läuft bereits fast ausnahmslos über die KI – die Weiterentwicklung und die Ideen werden jedoch weiterhin vom Menschen gesteuert.

HEDGEWORK: Zum Schluss vielleicht noch ein Ausblick, auf welche Art und Weise sich das Thema KI im Portfolio-Management weiterentwickeln wird?

Sven Schmeier: Grundsätzlich sind wir der Meinung, dass mittel- bis langfristig die KI und der Mensch ein Team darstellen werden, in dem jeder Partner seine Stärken einbringen wird – das gilt nicht nur im Bereich der Geldanlage. Dies bedeutet, dass eine stetige Prüfung und Hinterfragung von KI-Entscheidungen erfolgen sollte, die KI hingegen den Menschen entsprechend durch eine Selbsterklärbarkeit dazu bringen kann, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. So kann die KI beispielsweise volkswirtschaftliche Zusammenhänge und Korrelationen in kürzester Zeit berechnen. Mehrere Tausend Unternehmen können in Sekunden anhand festgelegter, aber auch erlernter Kriterien gegenübergestellt werden. Die Reihe an Aufgaben, welche eine KI in einem Bruchteil an Zeit für uns übernehmen kann, ließe sich fast endlos fortsetzen. Umgekehrt ist derzeit der Mensch mit seinem Basis- und Hintergrundwissen besser in der Lage Interpretationen vorzunehmen. Allerdings wird auch diese Grenze in Zukunft in Richtung der KI verschoben werden. Insgesamt sind wir daher der Meinung, dass die KI einen massiven Einfluss auf das zukünftige Portfoliomanagement und die zukünftigen Geldanlageentscheidungen haben wird.


Dr. Sven Schmeier

hat Physik und Informatik an der Universität des Saarlandes studiert und 1997 mit dem Diplom (MSc) abgeschlossen. Seine Dissertation in Computerlinguistik beschäftigt sich mit der “Explorativen Suche auf mobilen Geräten”. Er ist Leiter des Portfoliomanagements bei Wealthgate und außerdem Chief Engineer und Associate Head of Speech and Language Technology Lab des DFKI, bestehend aus mehr als 30 Forschern, Ingenieuren und Beratern auf verschiedenen Ebenen. Bei Globallytics ist er für die wissenschaftliche Weiterentwicklung der Basistechnologie verantwortlich, sowie für die Betreuung von KI- und Machine Learning-Verfahren.
Er hat außerdem umfangreiche Erfahrung in den Bereichen Data Mining und Machine Learning, Mensch-Computer-Dialogsysteme, Informationsextraktion, semantische Suche, Big Data Analytics, Fragebeantwortung und mobile Anwendungen von NLP-Technologien und hat dazu mehr als 30 nationale und internationale Projekte in Forschung und Industrie erfolgreich geleitet. Im Jahr 2004 erhielt er ein Patent für ein Verfahren zur automatischen Klassifikation eines Textes durch ein Computersystem des Deutschen Patentamts.

Wealthgate

ist eine Finanz-Manufaktur, die die Ziele, Wünsche und Ideen der Anlegerkundschaft erkennt und passgenau umsetzt. Basierend auf über 15 Jahren Forschungsarbeit ist es Wealthgate gelungen, KI-Technologien erfolgreich einzusetzen – im Globallytics Fund No. 1. Die Strategie des Fonds basiert auf Künstlicher Intelligenz und einer vollständig digitalen Auswahl eines weltweiten Anlageuniversums. Dabei werden gezielt Unternehmen herausgefiltert, die eine überdurchschnittliche Performance erwarten lassen. Der Globallytics Fund No.1 verwendet rein datengetriebene Strategien auf Basis von wissenschaftlich fundierten Methoden. Je nach Marktsituation beträgt die Aktienquote zwischen 0 und 100 Prozent.
Das wissenschaftliche Modell von Dr. Sven Schmeier und Valentin Häußer beinhaltet verschiedene Faktoren und Kennzahlen, welche die kurzfristige positive Performance von Unternehmen identifiziert. Im Rahmen des Risikomanagements werden die selektierten Positionen nur mit einer kurzen Haltedauer versehen, um langfristige, schwer vorhersehbare, negative Markttendenzen zu vermeiden.