Die richtige Einschätzung der ESG-Bemühungen (Umwelt, soziale Verantwortung und gute Unternehmensführung) eines Unternehmens bringt Vorteile für Anleihenanleger, so Frédéric Salmon, Head of Credit bei Pictet Asset Management.
Es ist heutzutage gang und gäbe, dass Aktienanleger ein Unternehmen nach ESG-Kriterien (Umwelt, soziale Verantwortung und gute Unternehmensführung) bewerten. Jetzt halten ESG-Analysen auch in die Anleihenmärkte Einzug1. Wir sind der Ansicht, dass ein genaues Verständnis der ESG-Profile von Unternehmen für Anleger nur von Vorteil sein kann, weil sich dadurch die Spreu vom Weizen trennen lässt.
Die Anleihegläubiger erkennen zunehmend, dass die nichtfinanziellen Aspekte des Unternehmenserfolgs die Bonität und Investitionsfähigkeit eines Unternehmens nachhaltig beeinflussen können. Die akademische Forschung beispielsweise ist allgemein zu dem Schluss gelangt, dass eine positive Korrelation zwischen den ESG-Kennzahlen eines Unternehmens und seinen Kapitalkosten besteht2.
NACH DEN STERNEN GREIFEN
Globales Vermögen in nachhaltigen Anlagen, Bio. USD
Quelle: Global Sustainable Investment Review
ESG-Faktoren fließen aus unterschiedlichen Richtungen ein. Die staatliche Regulierung zum Beispiel nimmt immer stärker ökologische und soziale Dimensionen an. Die Öffentlichkeit erkennt zunehmend, welche Auswirkungen Unternehmen auf die Umwelt oder soziale Gerechtigkeit haben, und nimmt durch ihre Kaufentscheidungen Einfluss, d. h. Produkte und Dienstleistungen von Unternehmen, die unethisch sind oder die Umwelt verschmutzen, werden zum Ladenhüter. Die Anleger wiederum werden sich immer mehr des Reputationsrisikos bewusst, das mit schlecht geführten Unternehmen einhergeht.
Gleichzeitig werden neue Methoden und Kennzahlen zur Analyse nicht-finanzieller Faktoren entwickelt, die bislang außen vor gelassen wurden, weil sie nicht gemessen werden konnten, aber Auskunft über wesentliche Risiken geben.
Renditen steigern statt opfern
Es ist natürlich sehr aufwändig, alle Aspekte von ESG bei Investments in festverzinsliche Anlagen zu berücksichtigen.
In erster Linie haben Anleihenanleger, die verantwortungsvolle Investmentstrategien in Betracht ziehen, Angst, dass sie Rendite opfern müssen, nur weil sie Gutes tun wollen.
Unsere Erfahrung hat uns aber gelehrt, dass ein durchdachter ESG-Ansatz dem entgegenwirken kann: Wenn er den Anlegern hilft, Fallstricke zu vermeiden, sollten sich damit auch Überschussrenditen erzielen lassen.
Unternehmensführung als kritischer Faktor
Dass die Unternehmensführung einen erheblichen Einfluss auf die Geschäftsentwicklung von Emittenten von Unternehmens- und Staatsanleihen haben kann, ist keine neue Erkenntnis.
Es gibt unzählige Fallstudien von Unternehmen, die durch Versagen der Geschäftsführung in Schieflage geraten sind. Eine gute Unternehmensführung minimiert das Risiko von Herabstufungen der Kreditwürdigkeit. Analysen zeigen, dass die Anleihenportfolios von Unternehmen mit höherem Rating bei der Unternehmensführung erheblich besser abschnitten als solche mit niedrigem Rating3. Es überrascht daher sicher nicht, dass 79 Prozent der befragten Vermögensverwalter die Unternehmensführung als wichtigstes ESG-Thema betrachteten4.
Mehr Umweltschutz und soziale Verantwortung
Während die Bedeutung guter Unternehmensführung unbestritten ist, sind ökologische und soziale Faktoren in der Regel schwieriger zu quantifizieren und auf ihren Einfluss auf die Geschäftsentwicklung zu analysieren. Beides ist aber für die wirtschaftlichen Eigentümer, deren Geld die Vermögensverwalter anlegen – Privatpersonen, Pensionsfonds und Institutionen – immens wichtig. Diese Diskrepanz in der Wahrnehmung lässt sich teilweise auf unterschiedliche Zeithorizonte zurückführen.
Im Vergleich zu ökologischen Faktoren können Aspekte der Unternehmensführung viel schneller in den Vordergrund treten – was vielleicht deren Bedeutung für Vermögensverwalter erklärt, die häufig an der Quartalsleistung gemessen werden.
Vermögensbesitzer hingegen wollen, dass ihr Kapital für die kommenden Generationen geschützt ist.
Die Krux an der Sache ist, dass ökologische und soziale Komponenten von ESG schwieriger zu quantifizieren und zeitlich einzugrenzen sind und daher aus rein finanzieller Perspektive schnell außer Acht gelassen werden. So wie jemand, der nur unter der Straßenlaterne nach seinem verlorenen Schlüssel sucht, weil es dort hell ist.
Die ESG-Leistung ist die Körpersprache des Unternehmens, die tiefere Einblicke gewährt, als Bilanzen allein es könnten.
Ein sorgfältig ausgearbeiteter Ansatz kann helfen herauszufinden, wie diese Faktoren Einfluss nehmen.
Schwerwiegende ökologische Probleme zum Beispiel sind oftmals das Ergebnis einer Unternehmenskultur, in der über kleinere Verstöße bereitwillig hinweggesehen wird. Der Katastrophe auf der Ölbohrinsel Deepwater Horizon war beispielsweise eine jahrelange schwache Umweltleistung der Ölgesellschaft vorausgegangen.
Ereignet sich eine Katastrophe, gibt es nicht nur direkte Umweltkosten – es kann auch zu Umbrüchen in den Lieferketten kommen. Beispielsweise werden bestimmte umweltschädliche Motoren nicht mehr produziert. Unternehmen, die weiterhin ältere Varianten verwenden und diesen Veränderungen nicht Rechnung tragen, müssen sich auf hohe Entwicklungs- und Wartungskosten einstellen.
Die Regulierung schafft einen Rahmen aus Vorschriften für Unternehmen und gibt einen Zeitplan vor, dessen Umsetzung die Anleger genau verfolgen können. Das gilt insbesondere für Umweltbelange, wo die Regulierung auf das wachsende Bewusstsein der Öffentlichkeit für die Problematik reagiert. Nehmen wir zum Beispiel die neuen Vorschriften der International Maritime Organisation (IMO) für die globale Handelsschifffahrt: Ab 2020 senkt die IMO den zulässigen Schwefelgehalt von Schiffskraftstoffen von 3,5 Masse % auf 0,5%. Wie Unternehmen darauf reagieren, liefert nicht nur Einblicke in deren ESG-Engagement, sondern auch in die Qualität ihrer Geschäftsführung. Einige Schifffahrtsgesellschaften stellen sich bereits auf die neuen Vorschriften ein, andere nicht, was früher oder später erhebliche Kosten nach sich ziehen wird.
Forscher am Imperial College haben herausgefunden, dass der Klimawandel die Fremdkapitalkosten in Industrieländern nach oben treibt5.
Soziale Faktoren spielen eine immer größere Rolle bei der Beurteilung derKörpersprache von Unternehmen. Die Risiken treten aber immer deutlicher zutage. Die Unternehmen sind unter Druck, sie müssen für Entgeltgleichheit zwischen Männern und Frauen sorgen und die Löhne für Niedrigstverdiener anheben. Bei Unternehmen mit geringen Margen und einer großen Mindestlohnbelegschaft könnte sich dieser Wandel letzten Endes erheblich auf die Gewinne auswirken. Unternehmen mit schlechten Arbeitnehmer-/Arbeitgeberbeziehungen oder solche, die nichts gegen Missstände wie Diskriminierung unternehmen, riskieren nicht nur teure Personalstreits, sondern gefährden auch den Wert und Ruf ihrer Marke, vor allem, wenn negative Schlagzeilen durch soziale Medien multipliziert werden – Ryanair zum Beispiel kann ein Lied davon singen. Andere fallen durch ihren Umgang mit ihren Benutzern in Ungnade, wie etwa Facebook.
Auf das richtige Maß kommt es an
Ein Großteil der industriellen Revolution hing mit der Entwicklung präziserer Messgeräte zusammen – der Weg für ESG-Investments wird durch bessere Möglichkeiten zur Quantifizierung der drei verschiedenen Faktoren frei gemacht.
Was für ESG-relevante Informationen Unternehmen offenlegen und wie, ist nicht einheitlich, aber der Trend geht in Richtung größerer Transparenz, auch wenn nicht gesetzlich vorgeschrieben.
Diese zunehmende Transparenz wiederum hat zur Herausbildung einer ESG-Ratingbranche geführt, die von zwei großen Agenturen beherrscht wird: MSCI und Sustainalytics.
Die Beurteilungen der Ratingagenturen sind hilfreich, bedürfen aber einer kritischen Betrachtung. Die zugrunde liegenden Methodiken unterscheiden sich und sind daher nicht direkt vergleichbar. Hinzu kommt, dass die beiden Agenturen zwar im Allgemeinen zu ähnlichen ESG-Gesamtbewertungen kommen, es im Detail aber erhebliche Diskrepanzen geben kann6. Beispielsweise gibt es im Wesentlichen keine Korrelation zwischen Unternehmensführungsbewertungen im Banken- und Brokerage-Sektor.
Allgemeiner gesprochen: Ein großes Risiko in Verbindung mit dem Umstand, dass man sich zu sehr auf Agenturratings verlässt, besteht darin, dass sie in einigen Fällen nur bedingt Auskunft über die Bilanzstärke geben – mit anderen Worten, sie liefern keine zusätzlichen relevanten Informationen zu bestehenden Finanzkennzahlen. Im weiteren Sinne können geringere Korrelationen zwischen Bonitätsratings und ESG-Bewertungen hilfreich sein, tiefere Einblicke in die Zukunftsaussichten eines Unternehmens zu gewinnen7.
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Auf die Nuancen kommt es an
So wie bestimmte Finanzkennzahlen für bestimmte Branchen aussagekräftiger sind als für andere, sind es auch die ESG-Kriterien. Während also Umweltaspekte bei Ölgesellschaften ganz oben auf der Liste stehen, sind diese für Finanzunternehmen weniger von Bedeutung, wo mit den Faktoren Unternehmensführung und soziale Verantwortung viel größere Risiken verbunden sind.
Letztendlich funktionieren ESG-Investments nur, wenn damit Kapital zu Unternehmen verlagert wird, die sich langfristig weiterentwickeln. Robuste Unternehmensführung, ein Gespür für gute ökologische und soziale Praktiken sowie deren sorgfältige Umsetzung sind vielleicht schwer zu quantifizieren und erwecken daher den Eindruck, „weiche“ Faktoren zu sein, aber sie sind von entscheidender Bedeutung für die Nachhaltigkeit des Geschäftsmodells eines Unternehmens.
ESG-Investments sind nicht nur eine Frage der Moral, sondern zunehmend auch eine Treuepflicht. ESG-Kriterien gewähren Einblicke in die Zukunftsaussichten eines Unternehmens, die Bilanzen und Geschäftsberichte allein nicht liefern können. Für jeden, der in Unternehmensanleihen investiert, sollte ESG im Mittelpunkt der Suche nach den Gewinnern von morgen stehen.
1) Daten von Broadridge vom 17.07.2018 zufolge war ein verwaltetes Vermögen von 126 Mrd. USD in Anleihenfonds angelegt, die im weitesten Sinne als verantwortungsvoll investierend zu bezeichnen sind, und 392 Mrd. USD in vergleichbaren Aktienfonds.
2) Meta-Analysen von 2.200 Studien belegen eine positive Korrelation zwischen ESG-Ratings und der Finanzkraft der Unternehmen bei 50 Prozent und eine negative Korrelation bei 10 Prozent. G Friede, T Busch and A Bassen, “ESG and financial performance…”, Journal of Sustainable Finance and Investment (2015), Bd. 5, Ausgabe 4.
3) Monatliche Outperformance von durchschnittlich 6,8 Basispunkten im Zeitraum 09/09 bis 04/16 basierend auf MSCI ESG-Scores (vgl. Barclays-Bericht „ESG Investing in Credit Markets“, 17.11.2016).
4) Quelle: ibid.
5) Bob Buhr et al. “Climate Change and the Cost of Capital in Developing Countries (UN Environment, 2018)” https://www.imperial.ac.uk/business-school/knowledge/finance/developing-countries-are-paying-twice-for-climate-change/
6) Korrelation von 0,57 bei Gesamt-Scores (vgl. Barclays, „ESG Investing in Credit Markets“.
7) Ibid
Über den Autor
Frédéric Salmon kam 2006 als Verantwortlicher für das Credit-Developed Markets Team zum Fixed Income-Team von Pictet Asset Management. Er ist zudem ein Mitglied des Sustainable Investment Board der Pictet-Gruppe. Vorher arbeitete er als Senior Credit Portfolio Manager bei AXA Investment Managers und als Head of Credit bei IXIS Asset Management. Zuvor war er als Fixed Income Portfolio Manager und Head of Credit bei Sogéposte SA, die zur IXIS Gruppe gehört, tätig. Frédéric Salmon erwarb an der Universität Paris II ein Diplom in Finanzwissenschaften und an der Universität Paris XIII den Master in Betriebswirtschaft. Er hat auch ein Diplom der SFAF (Société Française des Analystes Financiers).
Über Pictet Asset Management
Pictet Asset Management ist ein unabhängiger Vermögensverwalter mit einem verwalteten Vermögen von 163 Milliarden EUR, das wir für unsere Kunden in Aktien, Festverzinsliche, alternative Anlagen und Multi-Asset-Produkte investieren. Wir verwalten Einzelmandate und Anlagefonds für einige der größten Pensionsfonds, Finanzinstitute, Staatsfonds, Finanzintermediäre und deren Kunden weltweit. Bei unserem auf Anlagen basierenden Geschäft verfolgen wir einen langfristigen Ansatz mit einer einzigartigen Kundenorientierung. Unser Ziel ist es, der bevorzugte Anlagepartner unserer Kunden zu sein. Wir schenken ihnen unsere ungeteilte Aufmerksamkeit, bieten Pionier-Strategien und fühlen uns der Exzellenz verpflichtet.
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