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Weltwirtschaft im Wandel – Zwischen Geopolitik und Börsenrekorden

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Ein Beitrag von Andrea Quapp, Investment Director für Multi Asset Class Solutions (MACS) Kontinentaleuropa) bei GAM Investments: An den Finanzmärkten, insbesondere an den Aktienmärkten, wird die harte Realität verdrängt. Der Angriffskrieg von Russland auf die Ukraine bringt unsagbares Leid und Zerstörung und scheint auch noch sehr weit von einem Ende entfernt zu sein. Auch der Konflikt zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen hat in punkto Länge, Umfang und Intensität die meisten bestimmt negativ überrascht und wird aller Wahrscheinlichkeit nach noch weiter andauern. Diese Konflikte fordern nicht nur Leben ein, sondern auch Staatskapital, das in die Rüstung und in den Wiederaufbau fließt – nicht wie geplant in den Infrastrukturausbau, die Digitalisierung sowie die Förderung von erneuerbaren Energien. Die Unterfinanzierung in diesen wichtigen Bereichen wird erst mit Verzögerung an den Finanzmärkten spürbar sein.

Die Aktienmärkte kennen jedoch seit Wochen nur eine Richtung – nach oben. Der deutsche Aktienindex DAX erklimmt ein Rekordhoch nach dem anderen. Seit seinem Tief am Ende des dritten Quartals 2022 beläuft sich das Performanceplus des DAX in Euro auf fast 50 Prozent. Auch der breite US-Index S&P-500 notiert über 5.100 Zählern – knapp unter dem Höchststand. Die Schweizer Börse fällt dagegen aus dem Rahmen. Der SPI notiert unter 15.000 Punkten, was immer noch 10 Prozent beziehungsweise 1.500 Punkte vom Höchststand im Januar 2022 entfernt ist (Quelle: GAM, Bloomberg).

Deutschland: In der Rezession auf Börsenrekord

Von den Indexständen lässt sich nur bedingt auf den Zustand der Volkswirtschaften schließen. Gerade Deutschland wird wie in den 80er Jahren als „kranker Mann“ Europas bezeichnet. Das Land wird immer noch von den hohen Energiepreisen belastet und befindet sich seit Monaten in einer leichten Rezession. Aber auch die Bau- und Immobilienwirtschaft kränkeln wegen hoher regulatorischer Auflagen. Ganz anders sieht es dagegen in Amerika und Indien aus. In den USA brummt die Wirtschaft, die Unternehmensgewinne sprudeln und die Teuerungsraten gehen zurück. Die US-Wirtschaft hat in den zurückliegenden Monaten mehrheitlich positiv überrascht. So wurde für das Schlussquartal des vergangenen Jahres erneut ein kräftiges BIP-Zuwachs von annualisiert 3,3 Prozent gegenüber dem Vorquartal gemeldet. Es zeichnet sich ein ordentlicher Start ins erste Halbjahr 2024 ab. Zum einen ist hier der deutliche Stellenzuwachs von 353.000 im Januar zu nennen (Quelle: GAM, Bloomberg). Zum anderen sticht der schwindende Pessimismus bei der bislang lahmenden Industrie ins Auge, der sich im Anstieg des ISM-Einkaufsmanagerindikators zeigt.

Indiens Tigerstaat erfreut sich eines rasanten Wachstums 

Indien ist ein dynamischer Riese. Im vergangenen Jahr wurde der Subkontinent mit 1,4 Milliarden Einwohnern zum bevölkerungsreichsten Land vor China. Die Wachstumsdynamik hat sich dabei beschleunigt. Seit 2015 liegt das Land an der Spitze der G20-Länder. Die Wachstumsrate lag abgesehen von 2020 bei durchschnittlich sieben bis acht Prozent und trug im vergangenen Jahr ganze 16 Prozent zum globalen Wachstum bei. Im Gegensatz dazu verfolgt China, der einstige globale Wachstumsmotor, konsequent einen immer dogmatischeren Weg und wendet sich vom Westen ab. Das führt bei den Industrienationen in Sektoren wie dem Automobilbau oder der Kapitalgüterindustrie zu einem Nachfrageeinbruch.

Zinssenkungsunsicherheit sorgt für gute Zeiten

Die Wirtschaftsschwäche in Deutschland, die größtenteils durch eine wirtschaftsfeindliche Energiepolitik, Reformunwilligkeit und Vernachlässigung von Innovationen verursacht wird, wird durch das Wachstum in anderen großen Wirtschaftsblöcken kompensiert. In der Expansionsphase werden vielerorts die Arbeitskräfte rar, das ermöglicht es den Arbeitnehmern, lange zurückgestellte Lohnforderungen durchzusetzen. Davon profitiert der Konsum. Trotzdem gehört die hohe Teuerung, die nach der Coronavirus-Pandemie einsetzte, der Vergangenheit an. Insbesondere die Energiepreise und die durch Lieferengpässe getriebenen Transportkosten haben sich zuletzt normalisiert.

Der in der Breite nachlassende Inflationsdruck steigert seit Monaten die Erwartung, dass die Leitzinsen, insbesondere in den USA, bald reduziert werden. Doch Zahlen zu Konsumausgaben oder neu geschaffenen Stellen sowie eher pessimistische Aussagen von Notenbankern lassen die Hoffnung auf bald einsetzende Zinsschritte immer wieder abkühlen. Dass die US-Notenbank in diesem Jahr mit Zinssenkungen beginnt ist unbestritten aber wann dies der Fall sein wird, ist ungewiss. Dieses Hin und Her der Erwartungen ist für die Finanzmärkte jedoch ein konstruktives Umfeld.

Die Rezession hat ihren Schrecken verloren und Obligationen ihre Attraktivität

Die USA haben die Rezession vermieden oder zumindest in die Zukunft verschoben und die Inflation ist kaum noch eine Gefahr. Für Anleihen Portfolios drängt sich auf diesem Renditeniveau eine Annäherung an eine neutrale Duration auf. Attraktiv sind nur noch Unternehmensanleihen hoher Qualität. Diese Unternehmen benötigen kein hohes Wirtschaftswachstum, um gute Renditen zu erzielen, zudem verfügen sie über starke Bilanzen, einen ebensolchen Cashflow und der Verschuldungsgrad ist historisch eher tief.

Unter den Währungen wird der US-Dollar mit einsetzenden Zinssenkungen durch die US-Notenbank Federal Reserve an Attraktivität verlieren. Davon profitieren in der Regel energieimportierende Volkswirtschaften.

Die Glorreichen Sieben treiben die Börsen vor sich her

Die USA behalten ihre dominante Sonderrolle an den globalen Kapitalmärkten und beweisen das an der Börse eindrücklich. Die Aktien der «Magnificent Seven», der größten Technologie-Aktien, haben zuletzt traumhafte Kurssteigerungen gezeigt. Dank des Booms um künstliche Intelligenz stieg das Chip-Unternehmen Nvidia zum neuen Liebling an der Wallstreet auf. Die Investoren vernachlässigen angesichts der Tech-Rally negative Faktoren wie die hohe Staatsverschuldung, die fragile Lage der Regionalbanken bei Immobilienfinanzierungen sowie die Turbulenzen des Wahlkampfes.

Warum defensives Wachstum eine Schweizer Qualität sein könnte 

Die Anleger in den USA haben jedoch nicht nur mögliche Krisen, sondern auch die Kennzahlen am Aktienmarkt aus den Augen verloren. So ist der US-Markt vergleichsweise hoch bewertet und das Gewinnwachstum verlangsamt sich. In diesem Umfeld sind Aktien aus Europa und insbesondere der Schweiz theoretisch attraktiv. Das Gewinnwachstum ist gemäß Zahlen des Datendienstleisters IBES mit elf Prozent in der Schweiz überdurchschnittlich gut (Quelle: Institutional Brokers’ Estimate System 2024). Der seit Mai letzten Jahres hinter seinen globalen Konkurrenten zurückgebliebene defensive Aktienmarkt dürfte in den kommenden Monaten positiv überraschen, dank seiner Sonderrolle mit einem konsumfreudigen Heimmarkt und vielen international aufgestellten Unternehmen.

Europa muss sich dagegen mit einer Expansionsrate von fünf Prozent bei den Unternehmensgewinnen begnügen. Die europäischen Länder werden die Abhängigkeit von externen Energieträgern sowie von einem sich abkühlenden globalen Handel zu spüren bekommen. Insbesondere der heißgelaufene Aktienmarkt Deutschland ist anfällig für Gewinnmitnahmen und Korrekturen.

Immobilienfonds haben sich erholt

Investmentfonds, die in Immobilien investieren, sind in der Schweiz beliebte Diversifikationsanlagen. Mit einer durchschnittlichen Kursavance von zehn Prozent haben die Fonds jedoch die sinkenden Zinsen für Festhypotheken und steigende Mieten eingepreist. Für weitere markante Kursavancen müssten die Zinsen weiter sinken. Potenzial weisen aber Fonds für Wohnimmobilien auf, weil sie doppelt profitieren: von der Wohnungsknappheit, höheren Mieteinahmen und der Zinsbewegung.

Im Krypto-Bereich hat die Zulassung von kotierten Indexfonds (ETF) auf den Kassakurs des Bitcoins durch die US-Börsenaufsicht zu einem Kursfeuerwerk geführt. Der Bitcoin kletterte über 60.000 US-Dollar. In Ermangelung eines wirklichen Verwendungszwecks für die Kryptowährung und der Tatsache, dass jeder Käufer auf den «Next Fool» hofft, der den Coin teurer abkauft, ist der Sektor nur etwas für Spekulanten und Glücksritter.