Ein Beitrag von Duncan Lamont, CFA, Head of Strategic Research bei Schroders: Die meisten betrachten den jüngsten Bullenmarkt als eine Rallye von Growth-Aktien, getragen von den „Magnificent Seven“. Doch das trifft nur auf den US-Markt zu. International zeigt sich ein ganz anderes Bild: Dort sind die Wertentwicklung, die Zusammensetzung der Sektoren und die Bewertungen sehr unterschiedlich. Der „Value“-Stil erlebt einen Höhenflug.
Das mag verwunderlich sein – denn wer die Wertentwicklung der globalen Aktienmärkte betrachtet, sieht in Wahrheit vor allem die Wertentwicklung der USA, da diese einem Gewicht von 75 % dominieren. Was in den übrigen 25 % passiert, wird kaum wahrgenommen.
Wer von der Wertentwicklung der USA fälschlicherweise auf die der Weltmärkte schließt, hat womöglich attraktive Chancen verpasst. Allerdings gibt es konkrete Maßnahmen, die man heute ergreifen kann, um darauf zu reagieren und sich strategisch für die Zukunft zu positionieren.
Die Kräfteverhältnisse haben sich verschoben
Im EAFE-Index (Europa, Australasien und Fernost, ein Aktienindex für entwickelte Märkte außerhalb Nordamerikas) erzielte der Value-Stil in den zwölf Monaten bis zum 31. August 2025 eine Rendite von 20 % in US-Dollar. Damit übertraf er den Gesamtmarkt um 6 % und „Growth“-Werte sogar um 13 %. Letztere hinkten dem Markt um 6 % hinterher.
In den USA ist die Entwicklung genau umgekehrt, wie immer wieder zu lesen ist: Dort blieb Value im vergangenen Jahr um 17 % hinter Growth und um 8 % hinter dem Markt zurück.
Die jüngsten Performance-Verschiebungen im EAFE-Index sind so ausgeprägt, dass sie inzwischen auch die mittelfristigen Kennzahlen beeinflussen. Über drei- und fünfjährige Zeiträume liegt der Value-Stil klar vor Growth und dem Gesamtmarkt. Besonders europäische und britische Value-Aktien (MSCI EMU Value und MSCI UK Value) haben nicht nur ihre Growth-Pendants übertroffen, sondern auch den S&P 500.
Eine regelmäßig gestellte – und stark von den USA beeinflusste – Frage lautet: Was wäre nötig, damit Value-Aktien wieder eine Outperformance erzielen? Außerhalb der USA ist das bereits geschehen!
Ein weiteres Segment, das in den USA unter Druck stand, international aber deutlich besser abgeschnitten hat, sind Hochdividendenaktien. Die Wertentwicklung in der Vergangenheit ist zwar kein Indikator für die zukünftige Wertentwicklung, doch außerhalb der USA sieht die Lage eindeutig anders aus.
Was waren die Treiber der Wertentwicklung?
In den USA wurden Growth-Werte für ihr überdurchschnittliches Gewinnwachstum belohnt – vor allem dank der starken Entwicklung im Technologiesektor. Außerhalb der USA war das jedoch nicht der Fall: Im EAFE-Index blieben Growth-Werte trotz besserem Gewinnwachstum hinter dem Markt zurück.
Steigende Bewertungen waren ausschlaggebend für Value-Titel und Hochdividendenaktien. Trotz schwacher Gewinne haben sie sich sehr gut entwickelt. Das ist zum Teil eine Korrektur der zuvor bestehenden extremen Bewertungen, die bereits zurückgehen, in den USA jedoch weiterhin existieren (siehe späterer Abschnitt).
In diesem Artikel liegt der Fokus auf den USA und dem EAFE-Index, allerdings ist es erwähnenswert, dass diese Trends auch in vielen Schwellenländern zu beobachten sind. China ist ein besonders extremer Fall, wo Value-Aktien in den letzten 12 Monaten erstaunlicherweise um über 40 % gestiegen sind, obwohl die Gewinnerwartungen für die nächsten zwölf Monate heute etwas niedriger sind als vor zwölf Monaten.
Die schwächsten Unternehmen waren die größten Gewinner
Hin und wieder entwickeln sich Märkte entgegen aller Fundamentaldaten. In der jüngsten Zeit waren es die Unternehmen mit der geringsten Qualität, die die beste Wertentwicklung erzielt haben. Betrachtet man die echten Sorgenkinder – also Unternehmen, die vor zwölf Monaten Verluste geschrieben haben und dies auch heute noch tun – so haben diese in den vergangenen zwölf Monaten Unternehmen, die durchweg profitabel waren, um mehr als 10 % übertroffen. Dieses Muster zeigt sich sowohl in den USA als auch im EAFE-Index. Solche Firmen machen nur einen kleinen Teil des Large-Cap-Universums aus (2 % im EAFE-Index, 5 % in den USA). Dennoch ist die Dimension ihrer Outperformance bemerkenswert.
Ein Wort zur Sektorallokation
Wenn Anleger an Growth-Werte denken, kommt ihnen meist der Technologiesektor (IT) in den Sinn – und das trifft für die USA auch zu: Dort entfällt über die Hälfte der Marktkapitalisierung im Growth-Segment auf IT. Hinzu kommen Amazon und Tesla im Bereich der Nicht-Basiskonsumgüter sowie Alphabet im Kommunikationssektor. Zusammengenommen – IT + Amazon + Alphabet + Tesla – machen diese Titel rund 70 % des MSCI USA Growth Index aus. Paradoxerweise gehört Meta nicht zum Growth-Index, sondern ist die größte Position im MSCI USA Value Index.
Doch wie bei der Wertentwicklung ist es hier ebenso ein Fehler, von den USA auf Rest der Welt zu schließen. Im EAFE-Index macht IT lediglich 14 % des Growth-Segments aus – die Allokation ist deutlich breiter gestreut. Der größte Sektor ist Industrie mit 27 %, und auch das Gewicht des Gesundheitssektors ist dreimal so hoch wie in den USA. Die Annahme, dass Growth-Werte gleichbedeutend mit einer Wette auf KI und Technologie sind, lässt sich außerhalb der USA nur bedingt aufrechterhalten.
Was bedeutet das für Anleger?
Außerhalb der USA haben sich die Bewertungen über die verschiedenen Anlagestile hinweg auf neutralere Niveaus eingependelt. Das steht in krassem Gegensatz zu den USA, wo die Bewertungen im historischen Vergleich sowohl absolut als auch im Verhältnis zueinander deutlich stärker überzogen sind.
Wie sollten Anleger darauf reagieren? Obwohl Bewertungen nicht der einzige Faktor sind, den es zu berücksichtigen gilt, spielen sie langfristig eine zentrale Rolle. Da viele der jüngsten Extrembewertungen im EAFE-Index inzwischen zurückgegangen sind, bietet sich für langfristig orientierte Anleger eine neutralere, ausgewogenere Stil-Allokation an. Das bedeutet nicht, dass einzelne Stile nicht weiterhin Phasen starker oder schwacher Wertentwicklung durchlaufen können – doch die Bewertung spricht weniger klar für eine bestimmte Richtung. In einer Welt voller Unsicherheiten kann eine Stil-Diversifikation die Chancen auf widerstandsfähige Portfoliorenditen erhöhen.
Ein weiterer wichtiger Punkt: Viele Aktien, Anlagestile und Länder im globalen Aktienmarkt entwickeln sich derzeit gut – viele sogar besser als die USA. Wer allerdings den globalen Aktienmarkt passiv abbildet, wie es immer mehr Anleger tun, spiegelt diese Chancen kaum im eigenen Portfolio wider. Ende August machten US-Aktien fast drei Viertel des globalen Marktes aus. Die Magnificant-7 machen mehr aus als Japan, Großbritannien, China, Kanada, Frankreich, Deutschland und die Schweiz zusammen. Das bedeutet, dass diese sieben Titel ein größeres Gewicht haben als die sieben nächstgrößten Länder gemeinsam. Das bedeutet: Globale Portfolios sind stark auf US-amerikanische Mega-Cap-Growth-Aktien fokussiert und haben kaum Exposure gegenüber dem breiteren Chancenuniversum. Dass viele andere Marktsegmente derzeit besser abschneiden als die USA, schlägt sich in den Portfolios vieler Anleger kaum nieder. Das Argument, sich von der Benchmark abzuheben und einen aktiveren Investmentansatz zu verfolgen war nie überzeugender als heute.
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