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Neue Missionen für die Geldhüter: Wie sich die Mandate der Zentralbanken neu ausrichten

Markets and NewsNeue Missionen für die Geldhüter: Wie sich die Mandate der Zentralbanken neu ausrichten

Ein Kommentar von Alexis Bienvenu, Fondsmanager bei LFDE:

Die Zentralbanken stellen sich derzeit grundlegende Fragen mit Blick auf ihre künftigen Aufgaben. In Europa wurden mehrere Vorschläge dazu formuliert, wie das Mandat der Europäischen Zentralbank (EZB) angepasst werden könnte, ohne dabei ihren Gründungsvertrag fundamental zu ändern. Denn auch wenn die Kernaufgabe der EZB streng genommen darin besteht, Preisstabilität zu gewährleisten, ist ihr sekundäres Ziel gemäß Artikel 105 des Vertrags von Maastricht[1], die allgemeine Wirtschaftspolitik der Gemeinschaft zu unterstützen, um unter anderem zu einem dauerhaften, nichtinflationären und umweltverträglichen Wachstum, einem hohen Beschäftigungsniveau und einem hohen Maß an sozialem Schutz beizutragen.

Auf dieser Grundlage entstanden Ideen wie die Festlegung von Vorzugszinsen für „grüne“ Investitionen oder noch radikaler – wie von Emmanuel Macron vorgeschlagen –, die Bestimmung eines Wachstums- und Dekarbonisierungsziels. Der Druck, das europäische Mandat großzügiger auszulegen, ist deutlich spürbar.

USA: Klares Bestreben zu „weniger ist mehr“

In Washington verhält es sich umgekehrt. Kürzlich wurde eine Initiative ins Leben gerufen, die darauf abzielt, den Aufgabenbereich der US-Notenbank (Fed) stärker einzuschränken. Bislang hat die Fed ein Doppelmandat inne, das sich auf die Steuerung der Inflation und die Förderung maximaler Beschäftigung erstreckt. Der Price Stability Act, der von einer Gruppe republikanischer Abgeordneter unter der Führung des Vorsitzenden des Finanzdienstleistungsausschusses des Repräsentantenhauses French Hill unterstützt wird, würde darauf abzielen, ihr Mandat auf die Steuerung der Inflation zu beschränken.

Diese Initiative mag überraschen – insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich am US-Arbeitsmarkt eine Abschwächung andeutet. Was sich vor allem in ihr zeigt, ist eine für die MAGA[2]-Bewegung typische Rückkehr zu den Ursprüngen. Die ursprüngliche Aufgabe der Fed bei ihrer Gründung im Jahr 1913 bestand in erster Linie darin, die Banken- und Währungsstabilität der USA, die immer wieder von Bankenkrisen heimgesucht wurden, sicherzustellen. Erst im Kontext der von explodierender Arbeitslosigkeit und Inflation geprägten 1970er Jahre wurde der Fed ein Ziel mit Bezug auf die Beschäftigungszahlen zugewiesen. Seither muss sie zwischen ihren beiden Zielen vermitteln – oder sogar eines für das andere opfern, wenn sie kurzfristig unvereinbar erscheinen. So hatte die Bekämpfung der Inflation durch drastische Zinserhöhungen Anfang der 1980er Jahre, als Inflation und Arbeitslosigkeit auf dem Vormarsch waren, vorübergehend Vorrang vor der Förderung der Beschäftigung.

Vermeidung von Zielkonflikten

Die vorgeschlagene Rückkehr zum ursprünglichen Mandat hätte zwei Vorteile: eine höhere Transparenz und die Vermeidung von Konflikten zwischen den beiden Mandatsbestandteilen. Die soziale und politische Akzeptanz gegenüber der Fed würde dadurch nicht unbedingt gemindert. Schließlich ist der Groll in Verbindung mit der Inflation potenziell genauso stark wie der im Hinblick auf die Arbeitslosigkeit, solange sich letztere im vergleichsweise moderaten Bereich bewegt. Darüber hinaus verfügt eine Zentralbank über keine spezifischen Hebel, um beispielsweise über Ausbildung, Steuern oder Industriepolitik die Beschäftigungszahlen zu beeinflussen. Warum sollte man sie also dort einsetzen, wo sie nicht effektiv handeln kann? Aus dieser Perspektive ließe sich der Grundsatz „weniger ist mehr“ durchaus auf die Mission(en) der Zentralbanken anwenden.

Missionen im Wandel

Der Ausgang der Debatte ist noch unklar und wird wahrscheinlich auch nie endgültig entschieden sein. Eine zwischen Bestrebungen zur Erweiterung und zur Beschränkung der Mandate der Zentralbanken schwankende Dynamik wird auch künftig die weltweite Liquidität beeinflussen. Aus diesem Grund sollten Anleger die aktuellen Debatten besonders aufmerksam verfolgen. Denn wie sich dieses Gleichgewicht entwickelt, wird in großen Teilen darüber entscheiden, welchen Weg die Weltwirtschaft einschlägt.

[1] Vertrag über die Europäische Union, unterzeichnet in Maastricht am 7. Februar 1992 und in Kraft getreten am 1. November 1993.
[2] Make America Great Again.

Bild © LFDE