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KI-Boom gegen US-Schwäche – Timing ist alles

Markets and NewsKI-Boom gegen US-Schwäche - Timing ist alles

„Investoren stehen derzeit zwei sehr starken, gegensätzlichen Kräften gegenüber: dem exponentiellen, KI-getriebenen Investitionsaufwand und einer sich abschwächenden US-Wirtschaft – deshalb bleibt das Timing des Zyklus entscheidend“, resümiert Volker Kurr, Head of Europe, L&G:

„Die Technologiegiganten der Welt steigern ihre KI-bezogenen Investitionen rasant weiter. Ein großer Teil davon entfällt auf den Aufbau von KI-Infrastrukturen wie etwa Datenzentren.

Dies ist sowohl aus makroökonomischer Sicht als auch aus Sicht der Marktbewertung von enormer Bedeutung. Wir gehen davon aus, dass Anleger aktuell noch gar nicht abschätzen können, wie groß die potenziellen Auswirkungen von KI sein werden. Irgendwann in der Zukunft allerdings, wenn sich der Markt des Ausmaßes der Disruption bewusst ist, könnte daraus auch eine Blase entstehen. Umso wichtiger wird es jetzt, Bilanz zu ziehen und abzuwägen, an welcher Stelle des Zyklus wir uns befinden. Das richtige Timing des Zyklus bleibt einer der schwierigsten (und befriedigendsten) Aspekte der Tätigkeit als Investor. Oft steht es für einen großen Teil des Erfolgs eines Investmentteams und seines Prozesses.

Dasselbe gilt für eine weitere Frage, die Anleger sich aktuell mit Blick auf den Welthandel stellen: Könnten die US-Zölle eine Rezession in den USA und gegebenenfalls darüber hinaus auslösen? Zur Vorhersage einer Rezession lohnt unserer Meinung nach ein Blick auf Einstellungen und Entlassungen in Unternehmen der Privatwirtschaft. Das Problem: Es gibt keine verlässlichen Indikatoren – monatliche Unternehmensumfragen liefern nur eine durchschnittliche Vorwarnzeit von ein bis zwei Monaten. Schon eine deutliche Verschlechterung der HR-Pläne in nur zwei aufeinanderfolgenden Monaten kann unsere Rezessionseinschätzung von einem Risiko zum Basisszenario hochstufen.

Auch über die Inflation sorgen sich viele Anleger, aber im Angesicht von Konjunktursorgen verliert sie an Bedeutung. In einer Rezession fürchtet niemand die Inflation, weil sei voraussichtlich ohnehin sinken wird.

Die schwierige Frage ist, ob der Konjunkturzyklus in eine sanfte Landung mündet – oder nicht. In den USA beobachten wir gegenläufige Trends: Die Wohnkosten sinken, während die Preise für Waren steigen. Letzteres ist nicht nur auf die Entwicklung der Handelszölle zurückzuführen, sondern auch auf die Abwertung des US-Dollars um zehn Prozent in der ersten Jahreshälfte. Daher glauben wir, dass der Schlüssel in der Kern-Dienstleistungsinflation ohne Wohnkosten liegt. Diese wird durch das Lohnwachstum angetrieben. Sowohl der Beschäftigungskostenindex als auch der durchschnittliche Stundenlohn lagen in den letzten Monaten stabil bei einer Jahresrate von fast vier Prozent. Wenn der Arbeitsmarkt stabil bleibt und der Rückgang der Arbeitskräftenachfrage weitgehend durch einen Rückgang des Arbeitskräfteangebots ausgeglichen wird, dann dürfte sich das Lohnwachstum nicht verlangsamen oder zumindest nicht so stark, dass mehrere Zinssenkungen durch die US-Notenbank gerechtfertigt wären.

Angesichts all der Ereignisse dieses Jahres – Zölle auf dem höchsten Stand seit 1945, eine unter politischem Druck stehende US-Notenbank, eine hartnäckige Inflation über dem Zielwert – mag die relative Widerstandsfähigkeit der Märkte (mit Ausnahme des US-Dollars) überraschen. Die Märkte nach dem Liberation Day sind eine andere Welt als vor dem Liberation Day. In einem Rezessionsszenario dürften Aktien kaum unbeschadet bleiben. In einem Szenario, in dem sich die Lage langsam verbessert, wird unserer Meinung nach die KI darüber entscheiden, wie viel Aufwärtspotenzial für Risikoanlagen im weiteren Jahresverlauf noch vorhanden ist.“

Bild © L&G