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Der Irrtum vom wartenden Kapital

Markets and NewsDer Irrtum vom wartenden Kapital

Ein Beitrag von Tobias Kern, HRK LUNIS AG: Kaum eine Börsenweisheit hält sich so hartnäckig wie die Vorstellung, es gebe „Geld an der Seitenlinie“, das nur darauf warte, in den Markt zu fließen und die Kurse nach oben zu treiben. Diese Vorstellung klingt plausibel – ist aber irreführend. An der Börse existiert keine Seitenlinie im eigentlichen Sinne. Jeder Kauf ist ein Tausch: Für jeden Käufer gibt es einen Verkäufer, der im Gegenzug den identischen Geldbetrag erhält. Das Kapital verschwindet nicht, es wechselt lediglich den Besitzer.

„Das Konzept des Geldes an der Seitenlinie ist ein Märchen aus der Börsenfolklore. Kapital verschwindet nicht aus dem Markt – es wechselt nur den Besitzer.“
Tobias Kern, HRK LUNIS

Das oft genutzte Fußballbild zeigt den Denkfehler: Kommt ein Ersatzspieler aufs Feld, muss ein anderer herunter – die Mannschaft bleibt gleich groß. Neues Geld gelangt nur bei Primärmarkttransaktionen in den Markt, etwa über Börsengänge oder Kapitalerhöhungen; umgekehrt werden durch Aktienrückkäufe Mittel entzogen. Im Sekundärmarkt dagegen ändert sich im Handelsprozess lediglich die Besitzverteilung.

Geldmarktfonds: Volumen ≠ Kaufdruck

Als Beleg für angeblich „wartendes Kapital“ werden häufig die Rekordsummen in Geldmarktfonds genannt – in den USA rund 7,3 Billionen US-Dollar. Viele deuten das als Pulver, das bald in Aktien investiert werde. Doch diese Mittel stammen überwiegend aus Bankeinlagen, die angesichts höherer Geldmarktzinsen umgeschichtet wurden. Unternehmen parken dort Liquidität; Privatanleger ihre Reserven.In Korrekturen steigt die Risikoaversion typischerweise – der Kapitalabfluss aus Geldmarktfonds in Aktien bleibt dann aus. Historisch kam es trotz hoher Liquidität zu scharfen Rückgängen, weil nicht die Geldmenge, sondern die Risikobereitschaft der Marktteilnehmer kurstreibend wirkt.

„Wer glaubt, dass hohe Bargeldbestände automatisch steigende Aktienkurse bedeuten, verwechselt Liquidität mit Risikobereitschaft. Märkte steigen nicht wegen des Geldes, sondern wegen der Stimmung.“
Tobias Kern

Geldmenge, Liquidität und Bewertung

Die US-Geldmenge M2 liegt mit über 22 Billionen US-Dollar auf Rekordniveau. Aktienmärkte, Geldmenge und Geldmarktfondsvolumina steigen oft parallel, weil sie von denselben Faktoren getrieben werden – vor allem von expansiver Geld- und Fiskalpolitik. Jeder von der Notenbank geschaffene Dollar muss von jemandem gehalten werden: als Bargeld, Bankeinlage oder Zentralbankreserve.

Liquidität kann Bewertungen beeinflussen, weil Anleger bei niedrigen Zinsen eher Risikoanlagen bevorzugen. Ein „Zufluss“ in den Markt entsteht daraus jedoch nicht. Steigende Kurse sind das Ergebnis einer höheren Zahlungsbereitschaft – nicht zusätzlicher Geldmengen, die in den Sekundärmarkt „hineinströmen“.

Wenn alle kaufen wollen – ändert sich nur der Preis

Selbst wenn alle Anleger gleichzeitig kaufen wollten, gäbe es keinen Nettomittelzufluss in den Sekundärmarkt: Jeder erfolgte Kauf hat einen Verkäufer. Was sich anpasst, ist der Preis. Wie in einer Auktion treiben mehr Bieter den Zuschlag nach oben – die Geldsumme im System bleibt unverändert, sie wandert nur zu anderen Haltern.

Konsequenzen für die Praxis

Das Bild vom „Geld an der Seitenlinie“ taugt nicht als Investmentthese. Relevant sind Risikobudget, Bewertungsniveau und Gewinnpfade – kurz: die Bereitschaft der Anleger, Qualität und Perspektive höher zu bepreisen. Wer Portfolios steuert, sollte weniger auf vermeintliche Liquiditätsreserven bauen, sondern auf eine strategisch fundierte Asset-Allokation mit klaren Bewertungs- und Risikoregeln.

Aktives Management schafft Mehrwert durch Analyse von Makro- und Unternehmensdaten, flexible Allokation und disziplinierte Umsetzung – nicht durch das Spekulieren auf „Rückkehr des Cashs“.

Pro BoutiquenFondsDieser Beitrag erschien zuerst bei Pro BoutiquenFonds