Friday 19-Apr-2024
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Anatomie einer Erholung

OpinionsAnatomie einer Erholung

Der schärfsten Aktienkorrektur der Geschichte folgte eine steile Erholung, noch bevor die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft in vollem Umfang greifbar sind. Die meisten Märkte konnten die Hälfte bis zwei Drittel der Verluste wieder aufholen. Einige Profiteure der Krise, wie die Bereiche Technologie oder Gesundheit, lagen zuletzt, bezogen auf den Jahresbeginn, sogar schon wieder im positiven Bereich. All das scheint vielen angesichts des Sturms, der über die Weltwirtschaft fegt, schwer nachvollziehbar. Daher hier ein Erklärungsversuch, der nicht zuletzt auch für eine Einschätzung der nächsten Zukunft notwendig ist. Erstens: Nach starken Abverkäufen folgen zwangsläufig Gegenbewegungen. Diese sind von technischen Faktoren getrieben, beispielsweise decken ultrakurzfristige Marktteilnehmer ihre Leerverkäufe zurück. Überdies haben Stimmungslage (Sentiment) und Positionierung im Verlauf des März negative Extremwerte erreicht – und das sind auch oft Vorzeichen für steigende Märkte. Zweitens: Ob die wirtschaftliche Erholung einem V, einem U oder einem anderen Buchstaben gleicht, ist Gegenstand der Diskussion. Viele Prognosen, wie etwa jene des Währungsfonds, gehen in Richtung V, wenn man sich das erwartete Wirtschaftswachstum 2021 ansieht. Der Markt nimmt diese Erholung vorweg. Und drittens reagieren die Notenbanken mit beispiellosen Maßnahmen. Diese zielen zuallererst auf die Stabilisierung der Finanzmärkte ab. Wenn sie signalisieren, ihre weitgehend unbeschränkten Möglichkeiten auch in Zukunft zu nützen, stützt das alle Marktsegmente. Viele Marktteilnehmer folgen hier dem Motto „Don’t fight the Fed!“.

Unsere Einschätzung dazu: Erstens sind die kurzfristigen technischen Treiber ausgelaufen, zweitens werden auch bei einem V die Daten der nächsten Monate dramatisch negativ sein. Letztlich, drittens, die Notenbanken bleiben zwar ein gewichtiger Unterstützungsfaktor, können kurzfristig allerdings nicht mehr signifikant nachlegen. Daher rechnen wir mit weiterhin hoher Volatilität und mit deutlichen Rücksetzern, so Raiffeisen Capital Management in der neusten Ausgabe von märkte | unter uns. Die vollständige Ausgabe finden Sie links als PDF.

Aktien: Licht am Ende des Tunnels?

Oder nur der entgegenkommende Zug? Nach den dramatischen Marktbewegungen im März, die teilweise panische Ausmaße angenommen hatten, trat im April trotz schlechter Nachrichtenlage eine markante Beruhigung ein. Der Welt-Index, getrieben vor allem durch die USA, legte mit plus 10 % im April eine beachtliche Erholung vor – entgegen weiter alarmierender Gesundheits- wie Wirtschaftsdaten.

Die im Vormonat schon vermutete zumindest kurzfristige Bodenbildung fand somit statt, der Grund liegt hauptsächlich in globalen staatlichen Interventionen, also monetären und fiskalischen Unterstützungen in bisher noch nie gesehenem Umfang. Das führte vor allem zu Rückdeckungen von Verkaufspositionen, eine breite Investorennachfrage muss noch folgen. Aus heutiger Sicht am besten davongekommen sind Asien und China, am schlimmsten erwischt hat es Lateinamerika: die Gründe sind vielschichtig, einerseits bereits vorhandene politische und wirtschaftliche Krisen, andererseits der Verfall der Rohstoffpreise. Auch die Währungen der Schwellenländer kamen zusätzlich unter Druck.

Globale Konjunktur: Nach dem Lockdown

Die Folgen des staatlich verordneten Stillstands, etwa für die europäische Wirtschaft, lassen sich beispielsweise anhand der Einkaufsmanagerindizes verdeutlichen. Sowohl der Index für den Industriebereich als auch, noch deutlicher, der Index für den Dienstleistungssektor sind deutlich eingeknickt. Auch das Konsumentenvertrauen in der Eurozone hat durch die erhöhte Unsicherheit infolge der Pandemie und die stark negativen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt gelitten.

Auch in den USA liegt ein ähnlich dramatischer Befund vor, die New York Fed errechnet bereits jetzt einen Einbruch der US-Wirtschaft um etwa 12 % im Jahresvergleich.

Auch die Revisionen der Unternehmensgewinne kennen derzeit in allen Regionen nur eine Richtung, dennoch überwiegen aktuell die weiterhin negativen Überraschungen. Obwohl die Berichtssaison derzeit noch im Gange ist, wird das erste Quartal 2020 wohl mit einem deutlichen Gewinnrückgang abgeschlossen werden. Und die nationalen Lockdowns reichen ja weit ins nächste, das zweite Quartal hinein.

Aktien USA und Europa: Markante Kurserholung

Negative Konjunktur- und Gewinndaten werden in der aktuellen Erholung ausgeblendet, der treibende Faktor ist einmal mehr die umfangreiche Zentralbankenliquidität.

Die stärksten Revisionen der Gewinnschätzungen gab es in den Ländern mit den höchsten COVID-19 Fallzahlen bzw. den negativsten Ansteckungsdynamiken. In Ländern, die im „Corona-Zyklus” schon weiter fortgeschritten sind, waren die Gewinnrevisionen bei weitem nicht mehr so dramatisch. Auf die jüngsten Kursentwicklungen hatte dies nur bedingt Einfluss. Auffällig ist vor allem die doch recht gute Performance von US-Small-Caps und Russland, während man in Japan eigentlich eine bessere Kursentwicklung hätte erwarten können. Hier spielten unter anderem Unterschiede in den Branchengewichtungen der einzelnen Länder und Wechselkursbewegungen eine Rolle.

Kurzfristig steht für uns weiterhin das Risikomanagement und damit eine vorsichtige Portfolioausrichtung im Vordergrund. Angesichts der markanten Kurserholung steigt das Risiko für erneute Kursrücksetzer.

Emerging Markets: Von der Krise stark betroffene Regionen

Auch Aktien aus den Emerging Markets konnten sich zuletzt erholen. Auf Sektorebene sind die Bereiche Gesundheit und Telekom seit Jahresbeginn mittlerweile sogar im Plus. Am stärksten unter Druck hingegen die zyklischen Sektoren wie Finanz, Energie und Industrie. Die Gewinnentwicklung geht deutlich zurück und trifft jene Regionen stärker, die „zyklischer“ aufgestellt sind. Und das Tief bei den Gewinnen ist noch nicht erreicht, da auch hier die wirtschaftliche Entwicklung weiterhin rückläufig ist.