Karl im Brahm ist ein erfahrener Finanz- und IT-Experte sowie CEO von Objectway für die DACH-Region, der die digitale Transformation der Banken- und Finanzbranche mit Fokus auf innovative Technologien wie KI, Blockchain und hybride Beratungsansätze vorantreibt. Im Dezember 2024 traf er sich mit Christian Salow in Frankfurt/Main zum Gespräch.
altii: Herr im Brahm, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Gespräch nehmen. Sie blicken auf mehr als 30 Jahre Erfahrung in der Finanzbranche zurück – einer Branche, deren Attraktivität zunehmend kritisch hinterfragt wird. Was macht diese Branche aus Ihrer Sicht heute noch spannend und relevant?
Karl im Brahm: Eine spannende Frage, Herr Salow, und ich gebe Ihnen Recht: Die Finanzbranche kämpft manchmal mit dem Image, schwerfällig zu sein. Aber das entspricht nicht der Realität. Gerade jetzt ist es eine der spannendsten Branchen, weil sie durch Technologien wie KI, Blockchain und Cloud-Computing einen tiefgreifenden Wandel erlebt. Banken und Finanzdienstleister müssen sich neu erfinden, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Für Menschen, die an der Schnittstelle von Wirtschaft und Technologie arbeiten möchten, bietet die Branche also unglaublich viele Möglichkeiten – und eine enorme Relevanz. Schließlich geht es um nichts weniger als die Infrastruktur unserer Wirtschaft.
altii: Interessanter Punkt. Aber wenn wir ehrlich sind: Viele Innovationen in der Finanzbranche – von Blockchain bis KI – scheinen oft mehr Hype als Substanz zu haben. Sind wir nicht ständig in der Schleife von großen Ankündigungen, ohne dass wirklich etwas passiert?
Karl im Brahm: Das ist ein berechtigter Einwand, und ich verstehe, warum viele diesen Eindruck haben. Technologien wie Blockchain werden seit Jahren als bahnbrechend diskutiert, und doch warten wir immer noch auf den großen Durchbruch. Aber das liegt daran, dass solche Veränderungen Zeit brauchen, gerade in einem hochregulierten Umfeld wie der Finanzbranche. Schauen Sie sich Cloud-Computing an – vor zehn Jahren ein Hype-Thema, heute Standard. Dasselbe wird bei Blockchain passieren. Ich glaube, wir unterschätzen oft, wie komplex die Integration neuer Technologien ist. Es geht nicht nur um die Technologie an sich, sondern auch um die Akzeptanz bei Kunden, die Sicherheit und – ganz wichtig – die Regulatorik.
altii: Stichwort Regulatorik – lassen Sie uns darauf eingehen. Die Regulierungsbehörden in Deutschland und Europa gelten als besonders streng. Sehen Sie das als Vorteil, weil es Vertrauen schafft, oder als Hindernis, das Innovationen ausbremst?
Karl im Brahm: Das ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits gibt die starke Regulatorik den Kunden Vertrauen in die Sicherheit ihrer Finanzen, was enorm wichtig ist. Andererseits hemmt sie Innovationen und macht es schwerer, schnell auf neue Technologien zu reagieren. Ein Beispiel: In den USA oder Großbritannien setzen Banken Innovationen oft schneller um, weil die Regulierungsbehörden dort flexibler sind. Hier in Europa haben wir zwar mehr Sicherheit, riskieren aber, im internationalen Vergleich ins Hintertreffen zu geraten. Trotzdem finde ich: Eine gesunde Balance zwischen Sicherheit und Innovationsfähigkeit ist machbar – und die Regulatoren hier in Europa haben in den letzten Jahren viel gelernt.
altii: Glauben Sie, dass diese Balance schon erreicht ist? Es gibt ja immer noch viele, die sagen, die Regulierungswut schadet dem Standort DACH.
Karl im Brahm: Wir sind auf einem guten Weg, aber es gibt noch Verbesserungsbedarf. Nach der Finanzkrise 2008 wurde in Europa eine extrem strenge Regulierungsstruktur eingeführt, was damals auch richtig war. Jetzt sehen wir aber, dass das Pendel langsam zurückschwingt. Die Regulatoren hören mehr auf Experten und wägen die Auswirkungen neuer Regeln besser ab. Ein gutes Beispiel ist die Diskussion um KI. Hier wird sehr genau geschaut, wie man Innovationen ermöglicht, ohne die Sicherheit aus den Augen zu verlieren.
altii: Lassen Sie uns über Technologien sprechen. Sie erwähnen KI, Blockchain und Quantum Computing – große Schlagworte. Aber wo sehen Sie konkret die größten Veränderungen in den nächsten fünf Jahren?
Karl im Brahm: KI wird definitiv der größte Treiber sein. Viele Banken nutzen KI heute schon, oft aber im Hintergrund, etwa für Prozessautomatisierung oder Betrugserkennung. In fünf Jahren wird KI eine noch stärkere Rolle spielen, auch im direkten Kontakt mit Kunden, etwa durch personalisierte Beratung oder automatisierte Finanzplanung. Blockchain wird ebenfalls relevanter, vor allem für effizientere Abwicklungsprozesse, zum Beispiel im Wertpapierhandel. Quantum Computing ist aktuell noch in einer frühen Phase, könnte aber in Bereichen wie Risikobewertung oder Cybersecurity bahnbrechend sein. Die größte Herausforderung wird sein, diese Technologien sinnvoll zu kombinieren und dabei gleichzeitig Kosten zu senken.
altii: KI und Automatisierung klingen ja schön und gut, aber was passiert mit den Mitarbeitenden? Werden wir bald nur noch Bots und Maschinen in der Bank haben?
Karl im Brahm: Nein, so weit wird es nicht kommen – zumindest nicht in absehbarer Zeit. Die Zukunft ist hybrid: Mensch und Maschine werden eng zusammenarbeiten. KI kann Mitarbeitende unterstützen, indem sie Routineaufgaben übernimmt oder Entscheidungsgrundlagen liefert. Aber gerade bei komplexen Beratungen oder heiklen Entscheidungen wird der Mensch weiterhin eine zentrale Rolle spielen. Wichtig ist, dass Mitarbeitende entsprechend geschult werden, um mit der Technologie umgehen zu können. Banken müssen hier massiv in Weiterbildung investieren, sonst bleiben sie auf der Strecke.
altii: Das klingt plausibel, aber glauben Sie, dass Banken bereit sind, so viel in Weiterbildung zu investieren? Schließlich sind sie oft eher kostensensibel.
Karl im Brahm: Das ist ein kritischer Punkt. Manche Banken sehen Weiterbildung noch als Kostenfaktor, nicht als Investition in die Zukunft. Das ist gefährlich. Denn wer nicht in die Fähigkeiten seiner Mitarbeitenden investiert, wird langfristig Probleme haben, wettbewerbsfähig zu bleiben. Es gibt aber auch positive Beispiele: Einige Banken setzen verstärkt auf Kooperationen mit Tech-Unternehmen oder Hochschulen, um ihre Mitarbeitenden auf die neuen Anforderungen vorzubereiten.
altii: Zum Abschluss: Wenn Sie eine provokante These für die Zukunft der Finanzbranche aufstellen müssten, wie würde die lauten?
Karl im Brahm: Wenn Banken in den nächsten zehn Jahren nicht konsequent digitalisieren und in neue Technologien investieren, werden viele von ihnen verschwinden. Es gibt genug Wettbewerber, darunter Fintechs und Big-Tech-Unternehmen, die bereitstehen, ihren Platz einzunehmen. Wer den Wandel nicht aktiv gestaltet, wird im Markt keine Rolle mehr spielen.
altii: Das ist eine klare Aussage. Vielen Dank, Herr im Brahm, für dieses aufschlussreiche und spannende Gespräch!
Karl im Brahm: Ich danke Ihnen!
Bild (c) Karl im Brahm