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Nicht alle Titel in Artikel 9-Fonds sind nachhaltige Investitionen

TopicsNicht alle Titel in Artikel 9-Fonds sind nachhaltige Investitionen

altii-Interview mit Stefan Fritz, Spezialist Investmentfonds der GLS Investments:

Herr Fritz, vor zwei Monaten sprachen wir über Impact Investing und Artikel 9. Damals sagten Sie, ein Artikel 9-Fonds sei nicht zwangsläufig ein Impact-Fonds und böte keinen 100%-Schutz gegen Greenwashing. Wie sieht es heute aus? Ist die Gefahr des Greenwashing mittlerweile gebannt?

Greenwashing ist und bleibt noch für längere Zeit eine Gefahr am nachhaltigen Kapitalmarkt, da das aktuelle Regelwerk sehr viel Interpretationsspielraum lässt. Gleichwohl bleibt Nachhaltigkeit unverändert eines der bestimmenden Themen am Kapitalmarkt. Das zeigen Daten von Morningstar sehr deutlich. Im zweiten Quartal 2022 wurden rund 180 Nachhaltigkeitsfonds per Gesetz nach Artikel 8 und 9 aufgelegt. Das sind 60 Prozent aller Fonds, die zwischen April und Juni in der EU neu auf den Markt kamen.

In der Vergangenheit gab es immer wieder Kritik, dass Artikel 9-Fonds praktisch in alle Titel investieren würden, auch von Ihnen (altii-Punch vom 19.08.2022). Die Kriterien seien sehr dehnbar bzw. Ansichten zur Nachhaltigkeit sehr unterschiedlich. Dabei machte die Aufsicht doch sehr klar, dass praktisch alle Titel in einem Artikel 9-Fonds nachhaltige Investitionen sein sollten. (Clarifications, Nummer 19). Wie sieht es dabei aus?

Auch hier sind die Daten von Morningstar sehr aufschlussreich. Es ist bei Weitem nicht so, dass alle Titel in Artikel 9-Fonds nachhaltige Investitionen sind. Nur etwas mehr als 2 Prozent der Artikel 9-Fonds haben sich zum Ziel gesetzt, mehr als 90 Prozent an nachhaltige Investitionen zu tätigen. Dagegen allokieren 40 Prozent der Artikel 9-Fonds einen Wert von unter 50 Prozent. Hier zeigt sich ein Unterschied zwischen aufsichtsrechtlicher Erwartungshaltung und Marktrealität. Ein Artikel 8-Fonds kann sogar einen höheren Wert an nachhaltigen Investitionen anstreben als ein Artikel 9-Fonds. Die Aussagekraft einer Einstufung in Artikel 8 oder 9 bleibt derzeit damit begrenzt.

Und dennoch müssen Anlageberater seit dem 2. August die gesetzlichen Nachhaltigkeitsdaten nutzen. Wie verkaufen sie nun nachhaltige Fonds?

Die Unterscheidung zwischen Artikel 8 und 9 spielt in der Anlageberatung gar nicht die herausragende Rolle, wie man vielleicht annehmen mag. Prinzipiell können Anlageberater Fonds auf 3 Wegen nachhaltig beraten: Sie können Fonds anbieten, welche erstens negative Nachhaltigkeitsauswirkungen vermeiden, zweitens nachhaltige Investitionen im Sinne der Taxonomie oder drittens nachhaltige Investitionen im Sinne der Offenlegungsverordnung tätigen. Auch Artikel 8-Fonds können alle Wege anbieten.

Gibt es einen favorisierten Weg?

Anbieter von Fonds stellen vor allem sicher, dass sie negative Auswirkungen vermeiden. Die Mindestausschlüsse des Verbändekonzepts – Waffen, Kohle, Tabak sowie UN Global Compact-Verstöße – sind ja bereits gängige Marktpraxis und somit am einfachsten zu kontrollieren und auch dem Anleger zu erklären. Über 90 Prozent der Fonds berücksichtigen dies. Hier haben Anlageberater die größte Auswahl an Fonds.

Wie sieht es mit dem Taxonomieweg aus?

Angaben zu Taxonomiequoten findet man in den Fondsdokumenten deutlich seltener. Das macht es für Anlageberater schwierig, diese Nachhaltigkeitsklassen zu beraten. Die Gründe liegen auf der Hand: Daten dürfen nicht geschätzt werden, nur wenige Wirtschaftsaktivitäten sind bisher abgedeckt und der Ruf der Taxonomie ist dank Atomkraft und Erdgas aktuell nicht der beste. Nur ungefähr jeder dritte Fonds macht deswegen eine Angabe.

Bleibt der dritte Weg, nachhaltige Investitionen gemäß Offenlegungsverordnung….

Hier gibt es eine andere Herausforderung: Es ist nicht klar, wie genau ein Unternehmen als nachhaltige Investition im Sinne der Offenlegungsverordnung zu definieren ist. Gilt nur die einzelne Wirtschaftsaktivität als nachhaltig oder ab einem bestimmten Prozentwert das gesamte Unternehmen? Falls das Zweite gilt – wo liegt die Schwelle? Bei 20, 50 oder noch mehr Prozent? Je nach Auslegung können die Werte auf Portfolioebene sehr schwanken. Deswegen zögern noch viele Anbieter, sich auf einen bestimmten Wert festzulegen bzw. nehmen einen niedrigen Wert. Im Schnitt machen 4 von 10 Fonds hier eine Angabe, in nicht wenigen Fällen schreiben sie 0 Prozent. Was Wirtschaftsprüfer dazu sagen werden, bleibt abzuwarten.

Es bleibt also vieles noch im Unklaren. Was raten Sie Anlegern in der aktuellen Lage?

Der nachhaltige Anlagemarkt ist aktuell in voller Transformation. Viele Fondsanbieter nutzen diese Umbruchsphase. Sie wollen ihre Angebote bestmöglich positionieren und von der gestiegenen Investorennachfrage profitieren. Sicherlich gibt es viele gute und nachhaltige Angebote, allerdings ist nicht alles Gold, was glänzt. Und mit Impact hat dies häufig auch nicht viel zu tun – es fließt in der Regel nicht einmal Kapital direkt vom Fonds an die Unternehmen.

Daher sollten sich Anleger immer die Frage stellen: Wer hat sich schon vor 10 oder noch mehr Jahren Nachhaltigkeit auf die Fahnen geschrieben, als die EU noch keinen Aktionsplan veröffentlicht hat und grüne Geldanlagen als Ökospinnerei galten? Wer schneidet in externen Tests am besten ab? Wer berichtet transparent über Anlagekriterien und Investitionen? Das hilft häufig mehr als der Blick auf Artikel 8 oder 9.

Herr Fritz, vielen Dank für das Update

Quellen:
Morningstar: SFDR Article 8 and Article 9 Funds: Q2 2022 in Review | Morningstar
BVI Fokus Nachhaltigkeit: Fokus_Nachhaltigkeit__Q2_2022_.pdf (bvi.de)