Friday 19-Apr-2024
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Rückkehr in eine normalere Welt?

OpinionsRückkehr in eine normalere Welt?

Die jüngsten Entwicklungen bei den Pandemie-Zahlen in Europa, den USA und weiten Teilen Asiens geben Anlass zu Optimismus. Die drastischen Gegenmaßnahmen dürften in den kommenden Wochen fast überall nach und nach zurückgefahren werden. Gegenläufige Tendenzen, wie etwa in Singapur, mahnen zwar zur Vorsicht. Sie dürften den generellen Trend zur Lockerung und einem Hochfahren der Volkswirtschaften aber nicht stoppen. Selbst bei weniger guten Pandemiezahlen wird man künftig aber schwerlich in das bisherige Regime zurückfallen können. Zu groß sind die wirtschaftlichen und sozialen und damit mittelbar auch die gesundheitlichen Kosten mit jeder weiteren Woche von „Lockdowns“. In weiten Teilen Süd- und Südostasiens beispielsweise kamen „Lockdowns“ und Grenzschließungen mitten zur Haupterntezeit und die neue Aussaat kann ebenfalls nicht mehr lange warten. Können die zahlreichen Gastarbeiter aus anderen Ländern nicht schnell wieder in ihre Zielländer einreisen, drohen Hungerkatastrophen, unbezahlbare Lebensmittelpreise (Reis kletterte bereits auf ein 7-Jahres-Hoch) und Massensuizide von ruinierten Bauern. In diesem Fall wäre die imaginäre Kur definitiv schlimmer als die Krankheit selbst. In den USA und Teilen Europas beginnt auch die Stimmung in der Bevölkerung zu kippen. Auf Dauer lässt sich auch nur schwer mit imaginär geretteten Leben argumentieren gegen ganz real zerstörte wirtschaftliche Existenzen.

Damit rückt zunehmend die Frage in den Fokus der Märkte, wie schnell die Weltwirtschaft zu normaleren Verhältnissen zurückkehren kann und wie diese neue Normalität in den kommenden Quartalen und Jahren vermutlich aussehen wird? Wer wird sich schneller und stärker erholen, wer weniger? Diesbezüglich wird es ganz gravierende Unterschiede zwischen Branchen, Regionen und einzelnen Unternehmen geben. Viel wird dabei nicht nur vom Umfang, sondern auch der konkreten Ausgestaltung der fiskalischen Programme abhängen, die sich mit dem Wiederaufbau beschäftigen, im Gegensatz zu den aktuellen Nothilfeprogrammen, die die schlimmsten unmittelbaren Folgen der Krise auffangen sollen.

Enttäuschender EU-Gipfel zum Wiederaufbau

Bei den Verhandlungen über das Wiederaufbauprogramm für die EU hat es in der vergangenen Woche kaum Fortschritte gegeben. Die Ergebnisse waren insgesamt enttäuschend für die Märkte, die ohnehin schon nicht mit großen Erwartungen in den EU-Gipfel gegangen waren. Ein Kernproblem ist wieder einmal die prinzipiell ungelöste Zukunft der EU. Länder wie Frankreich und Italien möchten die aktuelle Krisensituation gern nutzen, um das von ihnen schon lange angestrebte Aufnehmen gemeinschaftlicher Schulden durchzusetzen. Dem steht heftiger Widerstand unter anderem aus Deutschland, den Niederlanden und Österreich entgegen. Für diese ist ein großangelegtes Wiederaufbauprogramm möglich, auch ohne, dass man dafür in eine faktische Fiskalunion einsteigen muss. Langfristig wird es mit ziemlicher Sicherheit Lösungen geben, gleich welcher Art, nötigenfalls auch in sehr großem Umfang. Kurzfristig bleiben aber etliche Fragezeichen, speziell in Bezug auf Italien. Eine Herabstufung mit Verlust des Investment-Grade-Siegels steht im Raum, wobei der diesbezügliche Überprüfungstermin durch Standard&Poor‘s am vergangenen Freitag weder ein Downgrade (das war ohnedies unwahrscheinlich) noch einen verschlechterten Ausblick brachte.

Die EZB hat für den Fall eines Downgrades in ihren letzten Beschlüssen bereits Vorkehrungen getroffen, ohne dabei explizit Bezug auf Italien zu nehmen. Dass sie künftig Sicherheitsleistungen auch in Form von Nicht-Investment-Grade-Anleihen zulässt und selbst auch solche Bonds unter bestimmten Bedingungen kaufen kann, dürfte zumindest sicherstellen, dass bei einer etwaigen Herabstufung Italiens nicht sofort die nächste Euro-Krise droht. Langfristig ist schwer zu sehen, wie sich Italien ohne implizite (Teil-)Garantien durch die anderen EU-Länder und/oder die EZB finanzieren soll. Ein „Herauswachsen“ aus der rasant steigenden Verschuldungsquote ist aus heutiger Sicht komplett unrealistisch. Auf der anderen Seite ist es genauso unrealistisch, mit Italien ähnlich zu verfahren wie mit Griechenland. Auf den Märkten kamen italienische und spanische Staatsanleihen in der letzten Woche unter Druck, nicht zuletzt aufgrund sehr starker Emissionstätigkeit beider Länder. Auf der anderen Seite ist die EZB bis auf weiteres aber bereit und auch in der Lage, zu starke Spreadausweitungen durch Käufe zu verhindern. Im Interesse der gesamten Eurozone wird sie dies auch bis auf weiteres sicherstellen.

In den Rentenfonds waren und sind wir derzeit bei italienischen Staatsanleihen grundsätzlich neutral positioniert. Es wurde aber aus Risikomanagementerwägungen eine Italien-Shortposition im Vorfeld der EU-Beratungen eingegangen, so dass derzeit eine Untergewichtung italienischer Staatsanleihen besteht. Diese wird in den kommenden Tagen je nach Marktentwicklung und Nachrichtenlage möglicherweise angepasst.

Aus langfristiger, strategischer Sicht stellen Renditeaufschläge von 260 Basispunkten über 10jährigen deutschen Bundesanleihen, wie sie in der vergangenen Woche zeitweise zu beobachten waren, durchaus attraktive Niveaus dar. In der Strategischen Asset Allocation wurden daher in den letzten Tagen entsprechende Käufe bei italienischen Staatsanleihen getätigt.

Reduziertes Risiko auf der Aktienseite scheint weiterhin geboten

Keine wesentlichen Positionsveränderungen gab es hingegen in der kurz- bis mittelfristig ausgerichteten Taktischen Asset Allocation. Die aus Risikoüberlegungen erfolgten Aktienuntergewichtungen werden vorerst beibehalten und die Situation täglich neu betrachtet und bewertet. Für den Moment drängen sich sowohl aus markttechnischer Sicht als auch fundamental noch keine Veränderungen auf. Die schwerste globale Rezession seit vielen Jahrzehnten und gewaltige Unwägbarkeiten sowie anhaltend hohe Volatilitäten an den Aktienmärkten sprechen derzeit für ein Beibehalten des Sicherheitsfokus. Die kräftige Erholung des S&P500-Aktienindex mag, oberflächlich betrachtet, große Zuversicht im Markt signalisieren. Doch ist sie sehr stark von einer Handvoll großer Technologieaktien getrieben. Microsoft, Amazon, Apple, Alphabet (Google) und Facebook machen zusammen inzwischen mehr als 20 % der gesamten Marktkapitalisierung des S&P500 aus. Diese schlechte Marktbreite ist technisch negativ zu werten. Anderswo haben sich die Aktienmärkte sehr viel weniger stark erholt, etwa in Teilen Europas und in vielen Schwellenländern.

Ende des Nachhaltigkeitstrends oder nur eine Delle?

Verliert das Thema Nachhaltigkeit bei Regierungen und Unternehmen angesichts der Krise an Priorität? Zu einem gewissen Grad mag das tatsächlich der Fall sein, zumindest für den Moment, geht es doch in vielen Bereichen derzeit um Überlebenskampf und blankes Krisenmanagement. In solchen Situationen werden naturgemäß viele Projekte hinterfragt oder verschoben, und Nachhaltigkeitsprojekte sind davor nicht gefeit. In den geäußerten Einstellungen widerspiegelt sich nach Beobachtungen unseres Nachhaltigkeitsteams aber in keiner Weise eine Abkehr von Nachhaltigkeitsbestrebungen, weder in der Politik, noch bei den Unternehmen. Die EU hat schon mehrfach bekundet, an ihrem ehrgeizigen Aktionsplan festzuhalten und auch viele Unternehmen betrachten nachhaltigeres Wirtschaften unverändert als wichtigen Wettbewerbsfaktor und wesentliches Element der eigenen Zukunftssicherung.

Während die Bereitschaft zu mehr Nachhaltigkeit intakt zu sein scheint, könnte es bei den verfügbaren Ressourcen sowohl bei Staaten als auch in der Wirtschaft in den kommenden Jahren etwas anders aussehen. Verlässliche Aussagen dazu sind aktuell aber noch nicht möglich. Vorstellbar ist sicherlich, dass das eine oder andere Nachhaltigkeitsprojekt verzögert, weil knappere zeitliche und materielle Ressourcen für andere Prioritäten verwendet werden. Es könnte also zwar die eine oder andere Delle und Verzögerung im Nachhaltigkeitstrend geben. Dass er durch die aktuellen Ereignisse aber aus der Bahn geworfen wird, ist extrem unwahrscheinlich. Möglich ist andererseits aber auch, dass sich der gesamtgesellschaftliche Fokus noch verbreitert und beispielsweise neben den zuletzt sehr stark präsenten Umwelt- und Klimaschutz-Aspekten auch Themen wie Soziales, Gesundheitswesen, Versorgungssicherheit, regionale Kreisläufe etc. stärker zur Geltung kommen.