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EU und UK im Regulierungswettstreit

OpinionsEU und UK im Regulierungswettstreit

von Dr. Alpay Soytürk, Chief Regulatory Officer bei Spectrum Markets.

Es gab eine Debatte darüber, ob die regulatorischen Unterschiede zwischen den Finanzsektoren der Europäischen Union und des Vereinigten Königreichs nach dem Brexit sozusagen bereinigt sind. Da Großbritannien und die EU zwischen Juni 2016, dem Datum des Brexit-Referendums, und dem Ende der Brexit-Übergangszeit, die am 31. Dezember 2020 auslief, keine Fortschritte bei der gegenseitigen Angleichung der Regulierung des Finanzsektors erzielt haben, war eine gemeinsame Erklärung über die Bereitschaft zur Zusammenarbeit in regulatorischen Aspekten alles, was in dem um Weihnachten 2020 angenommenen 1.276-seitigen Handels- und Kooperationsabkommen zu finden war.

Obwohl Ende März dieses Jahres eine Vereinbarung über die Zusammenarbeit in Regulierungsfragen unterzeichnet wurde, fehlen Details. Die Weigerung der EU, Großbritannien die “Äquivalenz” zu gewähren wurde als Indikator für die Unvereinbarkeit der Positionen gesehen. Wohin das führen wird, ist noch unklar – warum das wichtig ist, nicht.

Betrachtet man die gegenwärtigen Unterschiede – und diejenigen, die in Zukunft zu erwarten sind, wenn einflussreiche Stimmen wie die des britischen Arbeitskreises für Innovation, Wachstum und Regulierungsreform7 Gehör finden – könnte man zu dem Schluss kommen, dass es zwei divergierende Strömungen der Finanzmarktregulierung geben könnte, die jeweils um die beste Kombination aus Kundenschutz, Marktstabilität und -integrität und fairem, lebendigem Wettbewerb konkurrieren. Außerdem liegt es auf der Hand, dass dies zu einem Wettlauf nach unten bei den Regulierungsstandards führen muss, da beide Rechtsordnungen auch miteinander im Wettbewerb um die Anziehungskraft für Big Finance sowie um den fruchtbarsten Boden für Innovationen und junge Unternehmer zur Entwicklung von Zukunftstechnologien z.B. im Zahlungsverkehr, bei Handels- oder Nachhandelsdienstleistungen oder in anderen Bereichen stehen. Insbesondere die vorgeschlagene Dark-Pool-Verordnung deutet darauf hin, dass London versucht sein könnte, einen Teil des Handelsvolumens zurückzugewinnen, das es infolge des Austritts aus der Europäischen Union an den Kontinent verloren hat.

Andererseits könnte argumentiert werden, dass es Faktoren gibt, die den Spielraum für eine ungezügelte Lockerung der Normen einschränken. Einer davon ist, dass die Branche die Anwendbarkeit unterschiedlicher Standards für ein und dieselbe Dienstleistung generell ablehnt. Die Banken haben sich infolge des Brexits darauf eingestellt, unterschiedliche Kundenstämme von unterschiedlichen Hauptsitzen aus zu betreuen. Unterschiedliche Standards sind jedoch mit einem erheblichen Verwaltungsaufwand verbunden, damit die internen Prozesse effizient bleiben. Bei einer Abwägung zwischen niedrigeren Standards für einen Teil des Geschäfts und höheren Standards für einen anderen Teil gegenüber höheren Standards für den größeren Markt um den Preis eines vollständigen Rückzugs aus dem kleineren Markt, könnten sich viele Unternehmen für das letztere Szenario entscheiden.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Reifegrad des Kundenstamms, d. h. die Frage, inwieweit die Kunden an Standards gewöhnt sind, die sie nicht missen möchten, oder die Erwartungen der Allgemeinheit an die Durchsetzung von Standards zum Schutz ihrer Interessen.

In diesem Zusammenhang ist es denkbar, dass Großbritannien ein Regulierungssystem einführt, das flexibler auf kurzfristige Veränderungen reagieren kann und weniger restriktiv gegenüber kleineren Unternehmen ist, deren Tätigkeiten weniger einschneidend sind oder die in der Anlaufphase ihrer Unternehmen bestimmte Ausnahmen benötigen. Die EU versucht übrigens, einen ähnlichen Ansatz zu verfolgen, wie Regulierungsvorschläge wie ihre DLT-Pilotregelung8 zeigen. Was die Regulierung anbelangt, ist daher unseres Erachtens ein allgemeiner Trend zu mehr Flexibilität, Verhältnismäßigkeit und der Würdigung neuer Technologien und globaler Trends wahrscheinlicher. Dieses Phänomen, bei dem die Akteure in Politik, Recht und Wirtschaft darauf hinarbeiten, ein möglichst anspruchsvolles Umfeld für Unternehmen zu schaffen, wird als “Competitive Governance” bezeichnet. Man könnte es auch einen Wettlauf an die Spitze nennen.