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Gesundheitssystem vor digitaler Reform

Markets and NewsGesundheitssystem vor digitaler Reform

Ein Kommentar von Guillaume Chieusse, Fondsmanager des ODDO BHF: Die Corona-Pandemie hat die Ineffizienz des Gesundheitssystems klar aufgezeigt. Auch dessen Finanzierung sorgt regelmäßig, wie auch aktuell in der Ampelregierung, für politische Diskussionen.

Politischer Reformdruck
In verschiedenen Ländern Europas wurden daher zahlreiche Reformen auf den Weg gebracht. Allein das „EU4Health“-Programm sieht für 2021-2027 ein Budget von 5,3 Mrd. Euro vor, wie es in einem aktuellen Marktkommentar von ODDO BHF Asset Management heißt. In Deutschland sieht das Krankenhauszukunftsgesetz eine Finanzierung von 4,3 Mrd. Euro für die Digitalisierung von Krankenhäusern im Zeitraum von 2022 bis 2025 vor. In Frankreich sollen über die 2020 aufgelegte staatliche Initiative „Ségur de la santé“ bis 2023 rund 19 Mrd. Euro in die Aufwertung der Gesundheitsberufe und die Digitalisierung des Sektors investiert werden.

Neudenken des Gesundheitssystems
Kernstück dieser Maßnahmen ist die Digitalisierung von Gesundheitseinrichtungen. Für Anleger gibt es in diesem Bereich daher attraktive Anlagemöglichkeiten, und zu den wesentlichen Akteuren zählen auch einige europäische Anbieter von Gesundheitssoftware jenseits der Blue Chips, schreiben die Investmentexperten von ODDO BHF AM. Entscheidend sind dem Asset Manager zufolge hier drei Faktoren: die ökonomische Notwendigkeit zur Optimierung der Kosten der Einrichtungen, der Trend zur Digitalisierung und schließlich die politische Vorgabe Gesundheitsdaten vor Missbrauch zu schützen. „Denkt man an Digitalisierung im medizinischen Bereich, hat man in der Regel technologische Innovationen wie Ärzteroboter oder die Nutzung von Big Data vor Augen. Tatsächlich aber geht es um eine weitreichendere Neuausrichtung, ein Neudenken des Gesundheitssystems“, schreibt Guillaume Chieusse, Fondsmanager des ODDO BHF Active Small Cap.

Vier Säulen der Digitalisierung
Fondsmanager Chieusse identifiziert vier entscheidende Aspekte für die Digitalisierung im Gesundheitssektor: 1) Ein präventives Gesundheitsmodell. Die Früherkennung oder die Vermeidung von Krankheiten wird durch die Sammlung anonymisierter Daten und die Nutzung von Künstlicher Intelligenz zur Identifizierung von Risikogruppen ermöglicht. 2) Mitarbeit der Patienten. Sie werden durch entsprechende IT-Tools aktiv in ihre Behandlung eingebunden. Das erleichtert die Nachsorge, da die Patienten ihren Gesundheitszustand stets selbst verfolgen können. 3) Genauere Kenntnis des Patienten durch Zentralisierung der Daten in offenen und sicheren Plattformen. 4) Optimierung administrativer Aufgaben durch Automatisierung. Neben Kostensenkungen verbessert dies auch die Kommunikation zwischen den einzelnen Akteuren im Gesundheitswesen.

Defensiver Sektor mit zahlreichen Chancen
„Nicht nur wegen ihres Wachstumspotenzials, sondern auch wegen ihres berechenbaren Geschäftsverlaufs bieten Anbieter von Gesundheitssoftware in der aktuell angespannten konjunkturellen Lage ein defensives Profil“, hebt der Fondsmanager hervor. In Deutschland nennt er Nexus* und CompuGroup Medical (CGM) als Beispiele. Der Fokus von Nexus liegt hauptsächlich auf Krankenhäusern und Kliniken, die Zielgruppe von CGM sind hingegen Gesundheitseinrichtungen im weiteren Sinne. „Bei Nexus und CGM machen wiederkehrende Umsätze bereits über 50% des Gesamtumsatzes aus. Bei der französischen Equasens, Marktführer für Apothekensoftware, die ihr Geschäftsfeld nach und nach auf andere Gesundheitseinrichtungen ausweitet, sind es 33%.“ Attraktiv sei der Sektor auch, weil diese Unternehmen aufgrund ihrer Größe über unverzichtbare Kenntnisse der lokalen Märkte verfügen, z.B. durch Erfahrungen mit Telemedizin während Covid oder aktuelle Testläufe mit elektronischen Rezepten in Deutschland. Das mache sie zu bevorzugten Partnern für Regierungen. Kunden aus dem Gesundheitswesen dürften Chieusse zufolge zur Kostenminimierung verstärkt Lizenzmodelle wählen, bei denen die Wartung inklusive ist, was wiederum den Geschäftsverlauf nochmals berechenbarer macht. „Der Markt für Gesundheitssoftware ist äußerst dynamisch und eröffnet zahlreiche Möglichkeiten.“ So habe SAP beispielsweise angekündigt, sein Krankenhausmodul bis 2030 einzustellen. Bislang ist das Unternehmen in über 250 Krankenhäusern in Deutschland vertreten, was Nexus und CGM das Potenzial für Marktanteilsgewinne bietet.

Konjunktureller Gegenwind
Allerdings spüren Gesundheitseinrichtungen auch die konjunkturell angespannte Lage. „Auch die in Deutschland vorgeschlagene Krankenhausreform könnte sich negativ auf das Wachstum von Nexus und CGM auswirken“, schreibt der Fondsmanager. Denn die darin vorgesehene Reduzierung der Anzahl der Krankenhäuser und der Betten pro Krankenhaus reduzieren auch den Umsatz der Softwareanbieter: „Sie berechnen nach der Anzahl der Krankenhausbetten. Dieser Trend ist also bereits am Markt bekannt: Seit 2010 ist die Anzahl der Krankenhäuser in Deutschland bereits um 9% gesunken.“ Insgesamt überwiegen Chieusse zufolge die zuvor genannten Chancen die beobachteten Risiken.

* Keines der vorstehend genannten Unternehmen stellt eine Anlageempfehlung dar.