Am 5. November ist es so weit: Die Amerikaner wählen einen neuen Präsidenten. Je nachdem, wer am Ende ins Weiße Haus einzieht und wie die Sitzverteilung im Kongress aussieht, müssen Anleger auf unterschiedliche Szenarien vorbereitet sein. Was erwartet Investoren im Vorfeld der Wahl und wie können sie sich am besten auf die unterschiedlichen Ausgänge einstellen? Ein Marktkommentar von Nadège Dufossé, Global Head of Multi-Asset bei Candriam
Unsicherheit und Volatilität sind die traditionellen Begleiter des US-Wahlkampfes
Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen werden zwar zahlreiche Statistiken über die Entwicklung der Finanzmärkte veröffentlicht, doch diese finden nicht oft genug statt, um statistisch aussagekräftige Daten zu erhalten. Normalerweise nimmt die Volatilität im Sommer vor den Wahlen deutlich zu. In der Regel lassen die Sorgen nach der Wahl allerdings wieder nach und die Versprechen des neuen Präsidenten können sogar eine Jahresendrallye auslösen.
Auch die diesjährige Wahl ist hier keine Ausnahme. Seit der Nominierung von Kamala Harris als Kandidatin der Demokraten ist der Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen alles andere als gewiss. Die Gesellschaft ist zunehmend gespalten: Demokraten und Republikaner streiten sich um Kernthemen wie die Einwanderungs-, Steuer- und Wirtschaftspolitik sowie die Regulierung in Bereichen wie beispielsweise Umwelt und Künstliche Intelligenz. Das heißt, die US-Wähler müssen nun zwischen zwei grundverschiedenen Programmen entscheiden. Und auch Anleger stehen deshalb vor der Frage: Sollten sie sich in ihren Portfolios stark positionieren oder weiterhin auf gute Fundamentaldaten bei gleichzeitiger Absicherung vor Extremszenarien setzen?
Die Maßnahmen der Fed und die Ankündigungen Chinas sind derzeit entscheidender als die Wahlen
Die Federal Reserve (Fed) hat den Leitzins im September um 50 Basispunkte gesenkt und damit nicht nur das Rezessionsrisiko gesenkt, sondern auch das Momentum aller risikobehafteten Vermögenswerte angefacht – und damit verdeutlicht, dass statt der Inflation nun Wachstum sowie Beschäftigung im Mittelpunkt ihrer Überlegungen stehen. Im Gegenzug haben die chinesischen Behörden ein koordiniertes geld- und fiskalpolitisches Konjunkturprogramm aufgelegt, das von einer Rekapitalisierung der sechs wichtigsten Geschäftsbanken sowie von direkten Stützungsmaßnahmen für die Immobilien- und Aktienmärkte begleitet wird.
Insgesamt bieten die proaktiven Maßnahmen der Zentralbanken, die sich an einem neuen Zyklus der geldpolitischen Lockerung beteiligen, die Aussicht auf ein günstigeres Verhältnis zwischen Wachstum und Inflation. Natürlich sind nicht alle Risiken damit vom Tisch. Der US-Wahlkampf wird sich in den kommenden Wochen noch intensivieren. Auch werden die chinesischen Konjunkturmaßnahmen die strukturellen Probleme des Landes nicht lösen. Dennoch hat Candriam das Engagement in chinesischen und Schwellenländer-Aktien in den ausgewogenen Portfolios vorübergehend erhöht. Gleichzeitig gewichten wir Aktien generell über und bleiben in europäischen Anleihen mit langer Duration investiert. Vorerst sollten Anleger sich an den sich verbessernden Fundamentaldaten orientieren. Dabei dürfen sie nicht vergessen, sich vor den wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen der US-Präsidentschaftswahlen zu schützen.
Die verschiedenen Szenarien, die für die Zeit nach den amerikanischen Wahlen in Betracht gezogen werden, hängen sowohl vom Wahlsieger als auch von der Zusammensetzung des Kongresses ab. Das extremste Ergebnis wäre der Sieg einer der Parteien sowohl bei der Präsidentschaft als auch im Kongress – ein sogenannter „sweep“. Wahrscheinlicher ist jedoch eine „geteilte Regierung“, bei der mindestens eine der Kammern von der anderen Partei kontrolliert wird.
Vollständiger Sieg Donald Trumps führt zu Protektionismus und strafferer Geldpolitik
Ein Sieg der Republikaner bei der Präsidentschaft und im Kongress wäre das beunruhigendste Szenario bei der aktuellen Positionierung Candriams. Gerade die Pläne für strengere Einwanderungsbeschränkungen und die Androhung höherer Zölle – zehn Prozent auf alle Importe, mit 60 Prozent auf Waren aus China sind im Gespräch – wirken sich doppelt auf die Inflation aus und sind daher günstig für die US-Zinsen und den US-Dollar. Allerdings würde sich ein solches Szenario negativ auf das Wachstum in den von Einfuhrbeschränkungen betroffenen Ländern auswirken, weshalb es als nachteilig für den Rest der Welt gilt. Sollten US-Aktien also weiterhin übergewichtet werden? Die Einführung von Zöllen benachteiligt nicht nur Amerikas Handelspartner, sondern auch bestimmte US-amerikanische Unternehmen, deren Margen unter einem Anstieg der Beschaffungskosten leiden würden. Die Verlängerung des „Tax Cuts and Jobs Act“, der mit einem Unternehmenssteuersatz von 21 Prozent einhergeht, wird hingegen als positiv für Firmen aus den USA angesehen, insbesondere für die Nebenwerte des inländischen Segments. Eine vollständige Umsetzung der republikanischen Programme würde sich insgesamt negativ auf das Wachstum in den USA sowie weltweit auswirken. Die Fed würde infolgedessen erneut in eine schwierige Lage gebracht, da die Inflation wieder steigen wird. Angesichts höherer Zinsen und Abwärtskorrekturen beim Wirtschaftswachstum sieht dieses extreme und relativ unwahrscheinliche Szenario weder für Aktien noch für Anleihen gut aus. Der Rest der Welt wäre wahrscheinlich noch stärker benachteiligt als die USA selbst.
Trump-Sieg mit geteiltem Kongress sichert Wachstum bei erhöhter Inflation
Eine republikanische Präsidentschaft und ein gespaltener Kongress würden einen Mittelweg darstellen, bei dem das Wachstum gegenüber dem derzeitigen Szenario mehr oder weniger unverändert bliebe, aber die langfristigen Zinssätze höher wären und die Geldpolitik unter dem Druck der wiederauflebenden Inflation weniger locker wäre. In diesem Szenario wird der internationale Handel erneut Präsident Trumps favorisiertes Thema sein. Für US-Aktien wäre dies wahrscheinlich positiver als für den Rest der Welt, da Unternehmen von den verlängerten Steuersenkungen profitieren. Ein solcher republikanischer Wahlsieg würde die Inflationserwartungen sofort in die Höhe treiben. In Anbetracht des starken Rückgangs der Zinssätze für US-Staatsanleihen im letzten Sommer sollten Anleger bei der US-Duration vorsichtig sein und stattdessen inflationsgebundene US-Anleihen kaufen. In diesem Fall würden wir zudem unser starkes Engagement in Schwellenländern und unsere Positionen in Europa überprüfen.
Betrachtet man die Sektoren, ist Punkt vier der republikanischen Agenda relevant: „Machen wir Amerika zum mit Abstand führenden Energieproduzenten der Welt!“. Die US-Öl- und Gasproduktion soll gesteigert werden, was die Preise einem Abwärtsrisiko aussetzt. Ebenso könnten Investitionen im Zusammenhang mit dem „Inflation Reduction Act“ abgeschafft werden und so Elektrofahrzeuge sowie die Produzenten sauberer Energie benachteiligen.
Ein Sieg der Demokraten bedeutet Beständigkeit, mit dem Risiko einer Anfechtung des Wahlergebnisses
Ein Sieg Kamala Harris‘ mit gespaltenem Kongress sollte kaum Überraschungen für Anleger bereithalten, denn ihre Politik in den Bereichen Einwanderung und internationaler Handel deckt sich mit der der aktuellen Regierung. Daher scheint dieses Szenario auch für den Rest der Welt vorteilhafter zu sein. Aus innenpolitischer Sicht geht es bei dieser Wahl jedoch um Steuern. Einige der Maßnahmen, die auf der Agenda der Demokraten stehen, könnten sich negativ auf US-Aktien auswirken: Das Ende des „Tax Cuts and Jobs Act“ geht mit einer Erhöhung des Unternehmenssteuersatzes von 21 auf 28 Prozent einher, sowie einer höheren Steuer auf Aktienrückkäufe. Die von Kamala Harris vorgeschlagenen Maßnahmen zielen auf die Unterstützung der Mittel- und Arbeiterklasse ab. Dazu gehören eine Verlängerung der Steuersenkungen für Einkommen unter 400.000 US-Dollar, eine Verlängerung der Steuergutschrift für Kinder und Unterstützung für Erstkäufer von Eigenheimen.
Diese Konstellation kommt unserem aktuellen Kernszenario recht nahe: Die Wirtschaft wird sich wie erwartet verlangsamen, genauso wie die Inflation, und die Fed dürfte ihre geplanten geldpolitischen Lockerungen weiter fortsetzen. Eine solche „sanfte Landung“ ist für die USA, aber auch den Rest der Welt, ausgewogener, wirkt sich einigermaßen positiv auf alle risikoreichen Anlagen aus und hängt von der Resilienz der Wirtschaftstätigkeit ab. Die genauen Maßnahmen im Bereich Umwelt sind noch nicht bekannt, aber ein Sieg der Demokraten gilt grundsätzlich als positiver für die „Grünen Energien“.
Extremszenarien beim Sieg der Demokraten
Ein vollständiger Sieg der Demokraten stellt ein steuerliches Risiko für US-Unternehmen dar und würde vom dortigen Markt negativ aufgenommen werden, insbesondere für inländische Unternehmen. Kleine und mittlere Unternehmen wären stärker von diesen Problemen betroffen.
Für den Fall eines knappen demokratischen Präsidentschaftssiegs ohne Kongressmehrheit besteht auch die Gefahr, dass Donald Trump und seine Anhänger das Ergebnis anfechten. Die folgende politische und soziale Instabilität, auch wenn sie nur vorübergehend ist, würde die Finanzmärkte am stärksten belasten und die Volatilität stark steigen lassen. In diesem Fall wäre eine optionale Absicherung die beste Möglichkeit für den Schutz eines Portfolios, bis Stabilität und Regierungsfähigkeit wiederhergestellt sind.
Wahlsiegszenarien und Auswirkungen auf verschiedene Anlageklassen
Quelle: Schätzungen von Candriam, 30.09.2024
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