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Türkei: Am Rande des Kollaps?

OpinionsTürkei: Am Rande des Kollaps?

Der Türkei steht eine Zahlungsbilanzkrise bevor, wenn sie keine politischen Reformen anstößt, zeigt Nikolay Markov, Senior Economist bei Pictet Asset Management.

Stark unter Druck

Nach der Währungskrise im August letzten Jahres stand die türkische Lira Ende März wieder in den Schlagzeilen, weil ihr impliziter Overnight-Terminkurs und der Wechselkurs sprunghaft angestiegen waren. Die Gründe für diese Blitzrally sind nicht ganz klar, aber sicherlich haben die Short-Positionierung sowie die Einführung von Quasi-Kapitalkontrollen durch die Regierung letzten Sommer damit zu tun.

Der Volatilitätsschub an den Märkten fiel mit den Kommunalwahlen zusammen, bei denen die AKP-Regierung von Präsident Erdogan einen Teil ihrer Macht einbüßte, vor allem in großen städtischen Zentren.

Wie wird die Regierung auf diesen Rückschlag reagieren – müssen wir mit stärkerem Wirtschaftspopulismus oder eher mit einer fortschrittsorientierten Reformagenda rechnen? Solange darüber noch keine Klarheit herrscht, dürften besorgte Anleger weiter Abwärtsdruck auf die Währung ausüben.

ABB. 1: IMPLIZITER OVERNIGHT-TERMINKURS UND WECHSELKURS TÜRKEI


Quelle: Pictet Asset Management, CEIC, Datastream, April 2019

Verzwickte Lage

Die Türkei hat von allen Schwellenländern die zweithöchste Inflation – nach Argentinien, das in ebenso großen Schwierigkeiten steckt. Auch wenn unsere Indikatoren darauf hindeuten, dass die Inflation in der Türkei vorerst ihren Höhepunkt erreicht hat, glauben wir, dass aufgrund der instabilen wirtschaftlichen Bedingungen und der politischen Unsicherheit das Risiko einer ausgewachsenen Zahlungsbilanzkrise bestehen bleibt.

Diese Fragilität schlägt sich in der volatilen Leistungsbilanz der Türkei nieder, die – wie die Abbildung unten zeigt – wieder defizitär ist. Eine weitere starke Abwertung der türkischen Lira könnte einen Teufelskreis in Gang setzen, der die wirtschaftliche Rezession nur noch mehr verstärkt.

ABB. 2: AUFSCHLÜSSELUNG DER LEISTUNGSBILANZ DER TÜRKEI

 
Quelle: Pictet Asset Management, CEIC, Datastream, Januar 2019

Wie gewonnen, so zerronnen?

Fragil ist auch die Situation bei den Devisenreserven der Türkei – diese entsprechen gerade mal vier Importmonaten. In Brasilien dagegen sind es 25 Monate und in China 16 Monate.

ABB. 3: DEVISENRESERVEN DER TÜRKEI IM VERHÄLTNIS ZU IMPORTMONATEN


Quelle: Pictet Asset Management, CEIC, Datastream, Januar 2019

Zunehmende Abhängigkeit vom US-Dollar

Sorge bereitet auch die zunehmende Dollarisierung von Krediten in der Wirtschaft (siehe Abbildung unten links). Zurzeit steht dieser Entwicklung jedoch ein Anstieg der Dollar-Einlagen entgegen (siehe Abbildung rechts), was bedeutet, dass das Risiko einer Währungsinkongruenz vorerst nicht allzu groß ist.

ABB. 4A (LINKS): TÜRKEI: BANKENKREDITE IN LOKAL- UND FREMDWÄHRUNG/ABB. 4B (RECHTS): TÜRKEI: BANKENEINLAGEN IN LOKAL- UND FREMDWÄHRUNG 


Quelle: Pictet Asset Management, CEIC, Datastream, Februar 2019

Wo soll es politisch hingehen?

Insgesamt betrachten wir den Ausgang der jüngsten Wahlen im Hinblick auf Investmentgelegenheiten mit gemischten Gefühlen. Angesichts der schwächeren Position der AKP könnte sich ein marktfreundlicheres Umfeld herausbilden, in dem die Politik einige der dringend erforderlichen kurzfristigen und strukturellen politischen Reformen auf den Weg bringt. Sollte dies tatsächlich geschehen, könnte die Türkei gerade noch eine größere Wirtschaftskrise abwenden.

Wie sieht es mit den Märkten aus?

Wenn wir uns in der Abbildung unten 18 frühere Episoden einer Währungskrise* in Schwellenländern anschauen, ist zu erkennen, dass es typischerweise im Durchschnitt vier bis sechs Quartale dauert, bis das BIP wieder auf den Stand vor der Währungskrise gestiegen ist. Im Hinblick auf die Aktienmärkte zeigt unser Backtest, dass sie sich im Durchschnitt vier Quartale in der Talsohle bewegen, bevor sie in eine Phase der steilen Erholung eintreten.

Dies würde bedeuten, dass die Türkei (und Argentinien) möglicherweise noch mindestens zwei weitere Quartale ausharren müssen, bis sich eine Erholung beim BIP oder an den Aktienmärkten einstellt. Dauert die politische Krise an und/oder werden nicht die nötigen Strukturreformen umgesetzt, wird der Aufschwung noch länger auf sich warten lassen.

ABB. 5A (LINKS): REALES BIP SCHWELLENLÄNDER VOR UND NACH WÄHRUNGSKRISEN/ABB. 5B (RECHTS): AKTIENMÄRKTE SCHWELLENLÄNDER VOR UND NACH WÄHRUNGSKRISEN


Quelle: Pictet Asset Management, CEIC, Datastream. * Nach unserer Definition beschreibt eine Währungskrise eine Situation, in welcher der reale, handelsgewichtete Wechselkurs um mehr als 10% im Quartalsvergleich zurückgegangen ist. Demnach gab es seit den frühen 1990ern 18 Episoden: Argentinien (2002), Brasilien (1999), Bulgarien (1997), Kolumbien (1999), Ägypten (2003), Indien (1993), Indonesien (1997), Korea (1997), Malaysia (1997), Mexiko (1995), Philippinen (1997), Rumänien (1999), Russland (1998), Südafrika (2004), Türkei (1994 u. 2002), Ukraine (1998)


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Über Nikolay Markov

Nikolay Markov kam 2013 als Volkswirt zur Fixed Income-Abteilung bei Pictet Asset Management. Davor arbeitete er bei der Geldpolitikanalyse der Schweizer Nationalbank, wo er Untersuchungen zu den Regeln der Geldpolitik für die Schweiz durchführte. Vor dieser Position arbeitete er als Lehr- und Forschungsassistent an der Universität Genf und nahm an internationalen akademischen Konferenzen teil. Nikolay Markov hat einen PhD in Volkswirtschaft von der Universität Genf und erwarb am Studienzentrum der Schweizer Nationalbank in Gerzensee ein PhD-Zertifikat.

Über Pictet Asset Management

Pictet Asset Management ist ein unabhängiger Vermögensverwalter mit einem verwalteten Vermögen von 171 Milliarden EUR, das wir für unsere Kunden in Aktien, Festverzinsliche, alternative Anlagen und Multi-Asset-Produkte investieren. Wir verwalten Einzelmandate und Anlagefonds für einige der größten Pensionsfonds, Finanzinstitute, Staatsfonds, Finanzintermediäre und deren Kunden weltweit. Bei unserem auf Anlagen basierenden Geschäft verfolgen wir einen langfristigen Ansatz mit einer einzigartigen Kundenorientierung. Unser Ziel ist es, der bevorzugte Anlagepartner unserer Kunden zu sein. Wir schenken ihnen unsere ungeteilte Aufmerksamkeit, bieten Pionier-Strategien und fühlen uns der Exzellenz verpflichtet.

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