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Hat Indien in diesem Jahrzehnt unter den Schwellenländern die Nase vorn?

Markets and NewsHat Indien in diesem Jahrzehnt unter den Schwellenländern die Nase vorn?

Verglichen mit China nimmt Indien unter den Schwellenländern derzeit eine untergeordnete Rolle ein. Das könnte sich jedoch noch in diesem Jahrzehnt ändern. Laut einer Prognose des Internationalen Währungsfonds wird Indien bereits 2027 die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt sein – hinter den USA und China. Viele Indikatoren sprechen dafür, dass Indien seine Wachstumschancen nutzen und den Rückstand zu China aufholen wird. Nicht nur eine unternehmerfreundliche regulative Umgebung, sondern auch Innovationspotentiale in zentralen Branchen und eine günstige Demographie sprechen für die Zukunft des Landes. Anleger sollten Indien deshalb bei ihrer Portfolioplanung durchaus in Betracht ziehen – nicht als „Plus One“, sondern als eigenständigen Akteur. Dieser Ansicht ist Richard Carlyle, Investment Director bei Capital Group.

„Spätestens nach dem Besuch von Indiens Premierminister Modi im Weißen Haus ist klar, dass Indien als aufstrebende globale Macht wahrgenommen werden will“, sagt Carlyle. „Tatsächlich stehen die Zeichen günstig für einen Aufstieg Indiens innerhalb der Rangliste der Emerging Markets: Wirtschaftspolitische Reformen, massive Investitionen in die Infrastruktur, ein boomender Aktienmarkt und nicht zuletzt die vorteilhafte Alterspyramide sprechen für ein großes Wachstum innerhalb der nächsten Jahre.“

Reformen als Wachstumstreiber

Seit seiner Amtseinführung 2014 habe Modi zahlreiche Reformen umgesetzt, die das Land modernisiert und auf einen klaren Wachstumskurs gebracht hätten. So beispielsweise die Einführung von Aadhaar, einem freiwilligen biometrischen Identifizierungssystem, das mittlerweile 1,36 Milliarden Nutzer habe. „Mit dieser nationalen Datenbank konnte die Kreditvergabe erheblich vereinfacht werden“, erklärt Carlyle. Als weiteres Beispiel sei die 2017 eingeführte nationale Steuer auf Waren und Dienstleistungen (GST). Sie habe ein ineffizientes Geflecht aus staatlichen Steuern ersetzt und das verarbeitende Gewerbe und die Industrie in die formale Wirtschaft integriert. „Diese und weitere Reformen haben das indische Kreditwesen revolutioniert und den Kreditvergabeprozess erheblich beschleunigt“, so der Experte. Staatliche Anreize und Investitionen hätten zudem die inländische Produktion erhöht und den Industriesektor nachhaltig gestärkt. Bei aller Kritik bezüglich der Handhabung von Menschenrechten habe es Premierminister Modi geschafft, die Wirtschaftspolitik Indiens auf die Höhe der Zeit zu bringen und die Wachstumspotentiale der indischen Wirtschaft zu entfesseln. Über einen Zeitraum von 20 Jahren habe der MSCI India in US-Dollar eine jährliche Gesamtrendite von 13 % erzielt, der MSCI Emerging Markets lediglich 8,3 %.

Infrastrukturboom und Produktion

„Die schlecht ausgebaute Infrastruktur des Landes war bis zuletzt ein Wachstumshemmer für die indische Wirtschaft. Doch in den letzten fünf Jahren investierte die indische Regierung Milliarden in den Ausbau von Straßen, Bahntrassen, Flug- und Seehäfen“, sagt Carlyle. Der Ausbau der Infrastruktur wirke sich beschleunigend auf das zukünftige Wirtschaftswachstum aus. Parallel dazu boome auch der Immobilienmarkt – eine wichtige Voraussetzung für die nachhaltige Hebung des Lebensstandards in Indien. Wie in China entstünden auch in Indien gigantische Planstädte, so beispielsweise Malawa, wo mittlerweile 120.000 Menschen wohnen.

„Auch das produzierende Gewerbe hat von massiven Investitionen und Anreizen der Regierung profitiert. Neben der Bedienung der inländischen Nachfrage sollen Unternehmen in Zukunft vermehrt auf Exporte setzen, um das Handelsbilanzdefizit zu kompensieren. Das Ziel ist die Errichtung einer nachhaltigen Wertschöpfungskette, die das Land unabhängiger von Importen macht“, erläutert der Aktienexperte. In Zukunft dürften indische Unternehmen vor allem auf Smartphones, Haushaltsgeräte, Computer und Telekommunikationsgeräte setzen. Nicht nur ausländische Investoren, sondern auch inländische Produzenten sollen die rasant wachsende Binnennachfrage bedienen. Durch die Lockerung der gesetzlichen Vorgaben und durch massive Investitionen sei Indien zu einem attraktiven Standort für das produzierende Gewerbe geworden, das von einer weiter steigenden Nachfrage profitiere.

Wachsender Aktienmarkt und Investitionsmöglichkeiten

„Die indische Wirtschaft hat zudem einen rasant wachsenden Aktienmarkt, der mittlerweile 14 % des MSCI Emerging Markets Index ausmacht. Wachstum sehen wir besonders im Small- und Mid-Cap-Bereich“, sagt Carlyle. „Verglichen mit der gesamten Wirtschaftsleistung des Landes ist Indiens Aktienmarkt mit einer Marktkapitalisierung von fast 1 Billiarde US-Dollar zwar noch relativ klein. Das heißt im Umkehrschluss jedoch auch, dass hier noch erhebliche Wachstumspotentiale bestehen.“ Im weltweiten Ranking anhand der Anzahl der Start-ups belege Indien mittlerweile Platz drei und die Zahl der Börsengänge sei in den letzten Jahren geradezu explodiert. Das alles deutet aus Sicht Carlyles darauf hin, dass Indien seine Defizite aufholt und sich auf einem starken Wachstumskurs befindet. Die größten Investitionsmöglichkeiten bestünden derzeit im Immobilien-, im Finanz- und im Telekommunikationssektor. Die Märkte seien mittlerweile konsolidiert und von großen Investoren beherrscht. Damit seien die Voraussetzungen geschaffen, dass sich Indien nicht nur national, sondern auch international durch marktführende Unternehmen profilieren könne. Wer heute in indische Unternehmen investiere, könne von einer raschen Erschließung neuer Märkte profitieren.

Standortvorteil Demographie

„Indien dürfte von einem erhöhten ausländischen Investitionsaufkommen profitieren. Allerdings dürfte der weitaus größte Teil des Wirtschaftswachstums durch inländische Nachfrage und Investitionen generiert werden“, ist Richard Carlyle überzeugt. „Mit einem Durchschnittsalter der Bevölkerung von 29 Jahren hat Indien eines der attraktivsten demographischen Profile unter den großen Volkswirtschaften. In der richtigen regulatorischen Umgebung kann diese Demographie zu einem enormen Standortvorteil werden“, so der Anlageexperte. Indien befinde sich auf einem stabilen Wachstumskurs von 5-6 % und gehöre damit zu den am schnellsten wachsenden großen Volkswirtschaften. Unabhängig vom Ausgang der Parlamentswahl 2024 dürfte Indien seinen Wachstumskurs fortführen, da alle Parteien des politischen Spektrums dessen Notwendigkeit einsähen. Zusammen mit einer stabilisierten Inflationsrate, einer verantwortungsvollen Finanzpolitik und dem Rückgang der Korruption ermögliche die demographische Situation einen sehr optimistischen Ausblick auf das kommende Wachstum Indiens. „Es dürfte zwar noch dauern, bis Indien seinen Mitstreiter China eingeholt hat“, sagt Carlyle. „Doch Indien kann sich aus unserer Sicht bereits jetzt als unabhängiger Akteur profilieren, der mit attraktiven Investitionsmöglichkeiten punktet.“