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Rückläufige Wachstumserwartungen könnten Triebfeder für Anleiherenditen sein

OpinionsRückläufige Wachstumserwartungen könnten Triebfeder für Anleiherenditen sein

von Lidia Treiber, Associate Director Research, WisdomTree.

Festverzinsliche Anlageklassen haben sich 2019 generell gut entwickelt, da die Investmentströme in Staatsanleihen aufgrund der zunehmenden Sorge um ein rückläufiges globales Wachstum, Handelskonflikte und Brexit stark gestiegen sind. Während die Nachfrage nach historisch sicheren Anlagen stieg, gaben die Renditen für Staatsanleihen nach, wodurch sich viele europäische Staatsanleihen in den Bereich negativer Zinsen begaben. In der Zwischenzeit haben die Forderungen der Investoren nach Anleihen mit höherer Verzinsung bei Risikoaktiva für Unterstützung gesorgt. Dieses Jahr flossen bis zum 4. Oktober 2019 bisher 40,22 Milliarden USD in Exchange Traded Funds (ETFs) für festverzinsliche Wertpapiere in Europa, ein Anteil von fast 53 Prozent an allen Exchange Traded Product (ETP)-Strömen, wobei die Ströme für Fixed-Income-ETFs weltweit im zweiten Quartal des Jahres einen neuen Meilenstein erreicht haben.

Bedeutende festverzinsliche Anlageklassen US-Investment-Grade-Unternehmensanleihen schnitten besser ab als die meisten wichtigen festverzinslichen Anlagen, im bisherigen Jahresverlauf zum 12. November 2019 mit einem Plus von 15,22 Prozent. Dies entspricht einer ihrer besten Renditen seit fast zehn Jahren, da die Investoren in einem Umfeld negativer Zinsen auf der Suche nach hochwertigen Erträgen sind. Ebenso überraschten europäische Staatsanleihen die Investoren. Sie starteten mit sehr niedrigen Renditen in das Jahr und konnten im selben Zeitraum eine Rendite von fast 10 Prozent erwirtschaften. Eine festverzinsliche Anlageklasse, die angesichts dieses Zeitrahmens im Vergleich zu ihrem Aktien-Pendant Renditen im zweistelligen Bereich erzielen konnte, waren Additional Tier 1 Contingent Convertible Bonds (AT1-CoCo-Anleihen). Durch regulatorische Anforderungen wie Basel III und andere Maßnahmen waren europäische Banken dazu gezwungen, ihre Kapitalreserven zu verbessern. Aufgrund dessen ist das europäische Bankensystem 2019 sehr viel besser mit Kapital versorgt, als dies in der letzten Finanzkrise der Fall war. AT1-CoCo-Anleihen sind nicht in den großen europäischen Referenzindizes enthalten und können Diversifizierungsvorteile für andere Risikoaktiva bieten, was zu ihrer Beliebtheit beigetragen hat.

Renditen langfristig niedrig

Unseres Erachtens werden die Leitzinsen 2020 einem ähnlichen Muster folgen wie 2019, da die US-Notenbank (Federal Reserve, Fed) den Markterwartungen niedrigerer Leitzinsen nachkommen wird, auch wenn ihre derzeitigen Zinsvorhersagen anhand der „Dot-Plots“ auf einen härteren Kurs schließen lassen. Da die Wirtschaftsdaten weiterhin die führenden Indikatoren für zukünftige geldpolitische Entscheidungen darstellen, werden schwächere Daten, angeführt von Europa, die Renditen 2020 voraussichtlich belasten. Wenn wir uns die Nominalrenditen auf der US-Zinsstrukturkurve heute im Vergleich zu vor fast zehn Jahren ansehen, haben sich die Zinsen in diesem Marktzyklus auf einem sehr viel niedrigeren Niveau normalisiert als vor der Krise 2008. Der allgemeine Verlauf der Zinsstrukturkurven für die USA, Großbritannien und Europa erscheint jeweils relativ flach, worin sich sehr viel niedrigere Wachstums- und Inflationserwartungen in der Zukunft widerspiegeln. Zum Ende des Jahres 2007 lagen die langfristigen Renditen für Staatsanleihen mit einer Laufzeit von 30 Jahren in den USA knapp unter 4,5 Prozent, in Großbritannien leicht über 4,0 Prozent und ebenso in Deutschland bei knapp über 4,5 Prozent. Wenn wir nun einen Blick auf den 15. November 2019 werfen, stellen wir bei den Renditen für 30-jährige Staatsanleihen eine hohe Abweichung in diesen drei Regionen fest: Die Renditen für Bundesanleihen sind nahe 0 Prozent, die Renditen für britische Gilts knapp über 1 Prozent und sogar die Renditen von US-Treasuries betragen rund 2 Prozent. Die Wachstumserholung in entwickelten Märkten seit der letzten Finanzkrise fiel moderater aus als dies nach früheren Krisen der Fall war. Europa befindet sich in einem unkonventionellen geldpolitischen Umfeld und das neue Programm zur quantitativen Lockerung wird die Renditen am langen Ende voraussichtlich nach unten ziehen und Risikoaktiva begünstigen. Generell erwarten wir, dass die Renditen am langen Ende eingeschränkt bleiben werden, sollten wichtige europäische Länder nicht deutliche finanzpolitische Impulse setzen, die sich auf die Wachstums- und Inflationserwartungen der Zukunft auswirken könnten. Angesichts der weiteren wirtschaftlichen Folgen des Brexit und der noch in diesem Jahr anstehenden US-Präsidentschaftswahlen, dürften beide Volkswirtschaften zu großen Teilen von den Ergebnissen dieser beiden Ereignisse beeinflusst werden.

Längere Duration in Betracht ziehen

In einem Umfeld, in dem einige Investoren beginnen, ihr Aktienrisiko möglicherweise durch Risikobudgetierung ihrer Portfolios zu senken, könnte eine Allokation in einem diversifizierten Korb aus festverzinslichen Anlageklassen dabei helfen, das Risiko-Rendite-Profil der Portfolios zu verbessern. Unseres Erachtens könnte ein Engagement mit einer langen Duration bei festverzinslichen Allokationen ein nützliches Instrument zur Portfoliodiversifizierung sein, das die Widerstandskraft gegen eine Korrektur der Aktienmärkte erhöhen könnte. Festverzinsliche Anlagen mit hoher Duration zeichnen sich historisch im Durchschnitt durch eine höhere Volatilität und höhere langfristige Renditen aus. Wenn es bei Aktien steil abwärts geht, bietet die Duration im Durchschnitt tendenziell jedoch eine bessere positive Performance als Engagements in Anleihen mit kürzerer Duration.

Im Zusammenhang mit Multi-Asset-Portfolios erhöhen Anlagen mit höherer Duration im Laufe eines vollen Wirtschaftszyklus tendenziell die Sharpe Ratio des Portfolios. Dabei wird angenommen, dass sich die Allokationen in einem Portfolio zu 60 Prozent auf Anleihen und zu 40 Prozent auf Aktien verteilen und für den Anleihenanteil des Portfolios Indizes mit unterschiedlichen Fälligkeitsprofilen eingesetzt werden. In diesen hypothetischen Szenarien war die Sharpe Ratio des Portfolios am höchsten, bei dem die Allokation in Anleihen im Korb mit der längsten Laufzeit platziert wurde. 

Taktische Allokation im Bereich Kredite

Obwohl die optionsbereinigten Aufschläge für Investment-Grade und Hochzinsanleihen seit der Marktkorrektur vom Dezember 2018 generell enger geworden sind, wird das aktuelle makroökonomische Umfeld langfristig niedriger Zinsen voraussichtlich Unterstützung für Unternehmensanleihen geben, die eine Renditeoptimierung bieten. Wenn sich das verlangsamte Wachstum beginnt, in den Bilanzen der Unternehmen niederzuschlagen, wird eine Outperformance bei Unternehmensanleihen voraussichtlich stärker auf den Fundamentaldaten basieren. Eine einzigartige Dynamik bei Unternehmensanleihen, die die Nachfrage in den Kundenportfolios weiter antreiben wird, sind die Diversifizierungsvorteile, die Unternehmensanleihen einem Portfolio mit Anleihen mit höherer Duration bieten können. Dies ist der Fall, da Treasuries und Unternehmensanleihen historisch gesehen eine Renditediversifizierung bieten, vor allem dann, wenn es auf den Aktienmärkten bergab geht.

Investoren in Unternehmensanleihen könnten im gesamten Verlauf des Jahres 2020 Volatilitätsphasen erleben. Obwohl die Investoren aufgrund der erhöhten Marktunsicherheit bezüglich ihrer Risikopositionen eher rückwirkend reagieren, wird sich die Nachfrage nach Kredit voraussichtlich fortsetzen, da die Renditen europäischer Staatsanleihen wahrscheinlich nicht die Einkommensverbesserung bieten werden, nach der viele Investoren suchen. Im Bereich Kredit sind AT1-CoCo-Anleihen weiterhin eine interessante Anlageklasse, da die Emittenten von AT1-CoCo-Anleihen – typischerweise europäische Banken – generell über ein InvestmentGrade-Rating verfügen. Die fundamentale Kreditqualität des europäischen Bankensektors ist 2019 relativ stabil geblieben. Betrachten wir die von Standard & Poor’s (S&P) gemeldeten Emittenten Ratings der europäischen Banken, die AT1-CoCo-Anleihen ausgeben, geht der Trend seit 2017 mehr in Richtung Ratingaufwertungen als Ratingabwertungen, was auf bessere Fundamentaldaten der Emittenten hindeutet. Außerdem werden sich die Anlagenkäufe der EZB voraussichtlich günstig auf die Finanzierungskosten von Banken auswirken und somit einem Teil der nachteiligen Auswirkungen negativer Zinsen auf das Bankensystem entgegenwirken. AT1-CoCo-Anleihen, die am unteren Ende der Kapitalstruktur der Banken, gleich über dem Bankvermögen, angesiedelt sind, bieten eine Renditeoptimierung gegenüber höherrangigen Bankschuldverschreibungen. Die Investoren müssen jedoch die Eigenschaften von AT1-CoCo-Anleihen in Betracht ziehen und bestimmen, ob das Risiko-Ertrags-Profil mit den allgemeinen Zielen ihres Portfolios vereinbar ist. Angesichts des wirtschaftlichen Hintergrunds ist dies unseres Erachtens eine der festverzinslichen Anlageklassen, die auch im Jahr 2020 weiterhin gut abschneiden könnte.


Alle Daten von Bloomberg, sofern nicht anders angegeben.